Dat rappelt op dat Dachböhn – Uraufführung von »Bittersüße Zitronen« im Hamburger Ohnsorg-Theater

Foto: Oliver Fantitsch

Regisseur Murat Yeginer lädt, frei nach Gerhart Hauptmanns »Die Ratten«, auf den Dachboden eines alten Mietshauses ein, der als Theaterfundus mit vielen Verstecken dient und wo die unterschiedlichen Bewohner nun aufeinander treffen: Die kinderlose Maurerfrau Jette John (Rabea Lübbe), die einer illegalen Prostituierten (Tanja Bahmani) das Baby abkauft und es als ihr eigenes ausgibt, ihr Ehemann, der Maurer (Jannik Nowak), sowie ihr zwielichtiger Bruder Emil (Robert Eder), ein Hausmeister-Blockwart, der für Ordnung und Recht sorgt (Cem Lukas Yeginer), und ein ehemaliger Theaterdirektor (Konstantin Graudus), der gern vollmundig über die Kunst und das Leben philosophiert. Am liebsten tut er das mit seinem Schauspielschüler, dem ehemaligen Theologiestudenten Erich Spitter (Flavio Kiener), der in die Theaterdirektorentochter Walburga (Nele Larsen) verliebt ist. Nicht zu vergessen sind auch die Ehefrau des Theaterdirektors (Beate Kiupel) und dessen Geliebte Alice (Sorina Kiefer).

Foto: Oliver Fantitsch

Mitten unter ihnen: Henriette Johanne Marie Müller (Marina Lubrich), die den Hamburgern bis heute als Hamburger Unikat und als Zitronenjette bekannt ist. Hinzu kommt noch ihre Schwester Anna Müller (Caroline Kiesewetter).

Allesamt Menschen, die im Gängeviertel (um 1841-1916) am Rande der Gesellschaft lebten und deren Leben nun auf schicksalhaft-komische Weise miteinander verbunden sind.

Das Drama »Die Ratten« von Gerhart Hauptmann (das in Berlin spielt und das soziale Elend der armen Bevölkerungsschichten im späten 19. Jahrhundert thematisiert und sich mit der Handlung auf das Schicksal einer jungen Frau namens Pauline Piperkarcka konzentriert, die in prekären Verhältnissen lebt und von ihrem Geliebten, dem Maler Paul Gollin, schwanger wurde, der dann stirbt, so dass sie sich von da an nun alleine organisieren muss) bildet den Grundstock für den durch Regisseur Murat Yeginer liebevoll nun auf die Zitronenjette angepassten und in die Stadt Hamburg um-transferierten Stoff von »Bittersüße Zitronen«.

Das Stück kommt zu Beginn verspielt und niedlich-süß daher, zieht aber dann im Spieltempo und in der Personenregie stark an. Zudem wurde hauptsächlich die Musikform der Moritat gewählt, eine Form, die von Bänkelsängern verbreitet wurde (hier in Plattdeutsch). Aber auch Elemente des bürgerlichen Küchenlieds sowie von Jazz, Swing und Chanson aus dem 20 Jahrhundert sind enthalten. Die vier Musiker unter der Leitung von Christian von Richthofen spielen schwungvoll auf, wenn sie nicht gerade schlafend als Harlekine im Bühnenbild sitzen.

Im Endeffekt ist es ein spannender Dramaabend und eine schauspielerische Glanzleistung des gesamten Teams, wobei die Rollen Zitronenjette, Jette John und Harro Hassenreuter spielerisch am stärksten im Gedächtnis blieben.

Das Ohnsorg-Theater mit seinem Regisseur Murat Yeginer hat hier etwas geschaffen, das die Welt zum Nachdenken auffordert, unterhält und bleibende Momente schafft.

Wenn die Zitronenjette tänzelnd schreit: »Zitronen, Zitronen, kauft Zitronen«, ist das einmalig und löst Gänsehautschauer aus. Bis vorerst zum 03.04.2024 kann man sich noch vom Geschmack der »Bittersüße(n) Zitronen« überzeugen: https://www.ohnsorg.de/events/bittersuesse-zitronen/

Eine ausführliche Kritik lesen Sie in der kommenden Ausgabe Nr. 128 / 02-2024 der blickpunkt musical.