Lieber Evan Hansen,

heute war ein großartiger Tag. Und ich sage dir auch, warum: Das Stück über dich hatte in Gmunden deutschsprachige Erstaufführung. Und falls jemand jemals gedacht hat, dass diese lächerliche Unterscheidung von E- und U-Musik, die im deutschen Raum so gern gemacht wird, jemals auch nur irgendwie ernstzunehmend sein sollte; wenn jemand denken sollte, dass Musical ja nur unterhalten soll, noch viel schlimmer: Wenn jemand denken sollte, dass Musicaldarsteller ja keine »echten« Schauspieler sind – dann lässt sich diesem jemanden nur sagen: Fahr nach Gmunden.

Foto: Rudi Gigler

Lieber Evan Hansen, sehr viele großartige Momente haben Elisabeth Sikora und Markus Olzinger mit den vergangenen zehn Produktionen schon auf die Bühne gebracht, mit ihrer Liebe zu Musicals, die einfach das bisschen mehr sind als reine Unterhaltung. Aber mit dem Stück über dich haben sie alles Bisherige übertroffen. Die moderne Inszenierung mit einfachem, aber sehr effektvollen Bühnenbild (ebenfalls Olzinger), bildet die Basis, auf der sich feinste Schauspielkunst entwickelt, die insbesondere dadurch besticht, dass sie sich nie wie Schauspielkunst anfühlt. Das, was den Abend so überzeugend macht, ist das Gefühl, dass man Gast ist in den Gefühlen echter Menschen, Menschen wie du und ich, die so unmittelbar erlebt werden, dass es von Minute eins bis zu dem sehr langhaltenden Schlussapplaus keine andere Möglichkeit gibt, als dass man sich mit voller Aufmerksamkeit eingesogen fühlt. Gerade einmal acht Darsteller stehen auf der Bühne. Sie präsentieren acht völlig unterschiedliche Persönlichkeiten, jede geprägt durch das, was sich ihr Leben nennt. Das Stück von Benj Pasek & Justin Paul ist vor allem auch deswegen etwas Besonderes, weil es ein Stück ist, welches tatsächlich ohne jede historische oder schriftstellerische Vorlage entstanden ist. Immer wieder fühlt man sich an »Next to Normal« erinnert, aber dennoch ist das Stück völlig eigenständig wertvoll, dies wurde auch mit sechs Tony-Awards unterstrichen. Die Übersetzung von Nina Schneider funktioniert rund, der moderne Text fügt sich harmonisch in die ebenfalls sehr moderne, sich nie in den Vordergrund stellende Musik, hier schön herausgearbeitet von dem achtköpfigen Orchester.

Foto: Konstantin Zander

Eine Riege neuer, frischer Darsteller steht hier in Gmunden auf der Bühne, einige etwas Erfahrenere kommen hinzu – und die Leistung von jedem einzelnen ist so intensiv, dass man eigentlich niemanden hervorheben möchte. Anna Thorén, Michaela Thurner, Jelle Wijgergangs, Annemieke van Dam, Yngve Gasoy Romdal, Savio Byrczak und Vanessa Heinz – hier passt jeder Moment, jeder Ton, jede Emotion. Olzinger hat ganz offensichtlich sehr viel Arbeit, Zeit und Feingefühl in die Proben mit den Darstellern gesteckt und diese haben es mit Hingabe verinnerlicht und auf einem so hohen Niveau auf die Bühne gebracht, das man sich häufig genug nur zu wünschen traut. Und wenn einer in dieser Riege der Darsteller noch nicht genannt wurde, dann liegt es daran, dass eben doch einer einzeln aufgeführt werden muss. Denis Riffel, ein noch frischer Name in der Musicalszene, hat sich hier ein schauspielerisches Denkmal gesetzt. Als schöner Nebeneffekt kann der junge Darsteller auch noch hervorragend rollendeckend singen – aber bei dem, was er auf der Bühne lebt, wirkt dies fast nebensächlich.

Lieber Evan Hansen, dies war in der Tat ein großartiger Tag. Danke, dass du uns allen, die da in diesem schönen Theater in Gmunden zusammen das Stück über dich erleben durften, so ein beeindruckendes Erlebnis ermöglicht hast. Allen, die nicht da waren, kann man raten, dies zu ändern.

Noch bis zum 21. April ist dies im Stadttheater Gmunden möglich, vom 11. – 20. Oktober kommt diese Produktion dann ins Stadttheater Fürth.

Einen großen Bericht mit Fotos und Interviews mit allen Darstellern finden Sie in der gerade frischdruckfertigen blickpunkt musical Ausgabe 128 / 02-2024. Die ausführliche Kritik zu diesem Stück erscheint dann in der Ausgabe 129 / 03-2024.