Probeneindruck mit Interviews »Das Phantom der Oper« im Wiener Ronacher

Heute luden die Vereinigten Bühnen Wien zu einem Probeneindruck ein – zur Zeit sind noch alle Beteiligten von »Das Phantom der Oper« auf der Probebühne im Wiener Ronacher, ab der kommenden Woche geht es dann auf die große Bühne des Raimundtheaters.

»Das Phantom der Oper« ist sicherlich Sir Andrew Lloyd Webbers größter Erfolg. Über 160 Millionen Menschen haben das Stück mittlerweile in 46 Ländern, 195 Städten und in 21 Sprachen übersetzt gesehen. Am Broadway lief die ursprüngliche Version 35 Jahre, am West End befindet sich die Produktion im 38. Jahr. Die deutschsprachige Erstaufführung fand bereits 1988 in Wien statt, nun wird auch die neue Inszenierung in Wien erstmalig auf Deutsch präsentiert und der Blick auf die Ticketverkäufe zeiget, dass das Interesse ungebrochen hoch zu sein scheint.

Christian Struppeck, Intendant der VBW, und Seth Sklar-Heyn, der hier in Wien die grundlegende Regieführung von Laurence Connor inszeniert, begrüßten die Vertreter der Presse. Drei Szenenmomente wurden im Probenraum sowie in Probenoutfits, nur von Klavier begleitet, gezeigt: ›Mehr will ich nicht von dir‹, ›Die Musik der Dunkelheit‹ und ›Maskenball‹.

Im Anschluss an die Darbietungen blieb noch Zeit für Gespräche, die vor allem von Begeisterung für den gerade stattfindenden Probenprozess gefüllt waren.

Interview Milica Jovanović            Interview Roy Goldman          Interview Christian Struppeck

Bildergalerie           YouTube Probenvideo 

 

Interviews mit Anton Zetterholm sowie Seth Sklar-Heyn und die Rezension über die Premiere am 15. März finden Sie in der kommenden blickpunkt musical 02_2024 / Ausgabe Nr. 128! 

Blickpunkt musical: Liebe Frau Jovanović, wie fühlt es sich an, hier in den Proben zu sein?

Milica Jovanović: Es ist eine sehr inspirierende Arbeit. Wir haben ein ganz tolles Team, welches mit uns arbeitet. Diese Woche ist Matthew Bourne da, der ein ganz großartiger Choreograph und Regisseur ist. Es ist eine große Ehre, von ihm konstruktive Kritik zu bekommen, das macht mich sehr glücklich. Es ist in Summe eine sehr liebevolle, hilfsbereite Umgebung, die ich wirklich sehr schätze. Und meine Rolle ist so eine ganz andere Rolle, als ich es sonst spielen durfte. Ich habe seit ein paar Jahres das Gefühl, dass ich langsam in ein neues Fach abwandere, weg von den jungen Geliebten jetzt zum Beispiel hin zu einer Diva. Carlotta ist eine Frau, die wirklich reserviert ist, die möchte, dass die Menschen zu ihr kommen. Dies ist nichts, was eigentlich meinem persönlichen Naturell entspricht. Diese Charakterentwicklung sowie jetzt täglich klassische Kadenzen zu singen, sind tolle Herausforderungen. Für mich ist es ja tatsächlich fast ein bisschen wie wieder zurückzukommen, denn mit klassischem Gesang habe ich ja angefangen.

Blimu: Beim letzten Mal hatten Sie erzählt, dass das »Phantom« immer ein großer Traum von Ihnen war, es war Ihre erste CD. Ist dieses Gefühl von »Ui, ich darf jetzt wirklich beim ›Phantom‹ mitmachen« noch immer so großartig. wie es vor ein paar Monaten noch war?

MJ: Ja, das ist in der Tat noch immer ein unglaubliches Gefühl von Dankbarkeit. Es ist ein großes Geschenk – und ich habe regelmäßig, auch wenn wir bereits 5 Wochen proben, Gänsehaut. Wenn ich in der Ouvertüre auf der Bühne stehe und dann die Reise in die Vergangenheit sozusagen mit der Musik beginnt, dann löst das Tag für Tag etwas Besonders in mir aus. Und es ist nicht nur das Stück, es ist ja auch der Arbeitgeber. Die VBW sind wirklich großartig zu uns, sehr respektvoll, und all das macht es zu einer wirklich wunderschönen Arbeit.

blimu: Der Regisseur hat erzählt, dass sie an manche Figuren mit einer etwas anderen Entwicklung bzw. Geschichte herangehen. Wie ergeht es Ihnen, bzw. Ihrer Carlotta, damit?

MJ: Bisher wurde Carlotta immer so inszeniert, dass sie eine Frau am absteigenden Ast ihrer Karriere ist. Wir hingegen zeigen eine Frau, die auf dem Höhepunkt ihrer Karriere ist, alle mögen sie – nur das Phantom möchte Carlotta wegschaffen, damit der Weg für Christine frei ist. Das ist spannend für mich, nicht eine Frau zu spielen, die eh keiner mehr hören möchte, sondern eine Frau, die wirklich weggedrängt, gemobbt wird. Es fallen Sachen auf mich, die ganzen Unfälle passieren seit drei Jahren immer nur Carlotta – und sie steht trotzdem jeden Tag auf der Bühne, weil sie der Oper, dem Gesang so sehr ergeben ist, es so sehr liebt zu performen – das kann ich alles so gut nachvollziehen, weil ich auch diesen großen inneren Drang habe, in diesem Beruf zu arbeiten und immer wieder aufzustehen. Also Gott sei Dank ist mir nie etwas so Schlimmes passiert, wie es Carlotta hier erlebt – aber diese Frau jetzt auf der Bühne darstellen zu dürfen, ist einfach unglaublich toll.

 

Blimu: Lieber Herr Goldman, nun sind schon ein paar Wochen ins Land gezogen, seitdem wir uns das letzte Mal unterhalten haben. Damals waren Sie so voller Vorfreude, Ihren Raoul entdecken zu dürfen. Wie geht es Raoul und Ihnen nach den bisherigen Probewochen?

Roy Goldman: Es ist sehr spannend und es macht richtig viel Spaß. Wir hatten jetzt zwei Durchläufe, bei denen alles mal richtig zusammenkam, und nun spürt man, wo der Seth mit uns hingehen möchte. Wenn wir in der Oper sind, findet dort wirklich Oper statt, das ist genau das, was wir präsentieren wollen. Und wenn wir im Büro der Direktoren sind, dann sind wir genau da, wir müssen da Entscheidungen treffen. Diese Wahrhaftigkeiten zu entdecken ist sehr spannend. Und langsam spürt man, dass etwas Ruhe hineinkommt. Jetzt kennen wir uns alle schon, jeder hat ein besseres Gefühl bekommen, wo die Reise hingehen wird.

Blimu: Wie hat sich Ihre Rolle inzwischen entwickelt?

RG: Damals hatte ich so viele Fragen im Kopf: Wie geht Raoul mit Christine um, wie verhält er sich? Jetzt habe ich herausgefunden, dass er sehr charismatisch ist, wirklich alles für sie tun will. Er ist natürlich sehr in sie verliebt, aber sobald das Phantom in die Geschichte hineinkommt, verändert er sich. Er trifft die Entscheidung, nicht einfach mehr nur zu sagen, was er denkt, sondern er will ihr ganz bewusst zuhören, will wissen, was sie zu sagen hat. Er geht weg von dem Überschwang aus ›Ich liebe dich, du liebst mich und wir machen das zusammen‹ – nein, er möchte wirklich in ihrem Sinne handeln, möchte wirklich wissen, was sie sagt. Mit dem bewussten Zuhören verkörpert er so viel mehr als mit dem bloßen Reden. So zeigt er, dass er wirklich für sie da ist, immer.

Blimu: Wieviel Miteinander ist die Arbeit zwischen Ihnen und dem Regisseur, sprich wieviel Roy steckt in Raoul?

RG: Sehr viel. Also erst einmal haben wir einfach nur das auf der Bühne dargestellt, was das Buch hergibt. Aber jetzt beginnt die Zeit, in der es darum geht, wirklich alles genau zu erkunden, zu hinterfragen. Wir probieren aus, was besser funktioniert, und entdecken gemeinsam – was ehrlich gesagt total unerwartet ist, denn das Stück ist so bekannt, dass man erwarten würde, dass alles genau festgelegt ist. Aber mit Seth funktioniert es anders, da kann man immer über etwas reden, dann denkt er nach, kommt am nächsten Tag und gibt einem Recht oder eben auch nicht. Aber für einen Darsteller macht so ein Miteinander einen Riesenunterschied. So etwas erlebt man nicht immer, darum genieße ich das ehrlich gesagt besonders.

Blimu: Es ist auch erstaunlich, denn gerade bei Webber denkt man ja, dass die Produktionen alle sehr ausgeklügelt und im Grunde gleich sind.

RG: Ja, genau. Aber hier geht es wirklich nur darum, ob das, was man als Darsteller sagt, wirklich Hand und Fuß hat. Wenn ich gut argumentieren kann, dann wird tatsächlich darüber nachgedacht. Seth ist da ziemlich offen und mich freut das sehr. Hier ist man nicht einfach nur »eine Nummer«, sondern ich kann wirklich viel von mir selbst zeigen. Das macht es zu einer wirklich tollen Zeit.

 

Blimu: Lieber Herr Struppeck, zum letzten Mal haben wir bei »Rock me Amadeus« miteinander gesprochen, was ja aus Ihrer Feder stammt. Wie ist es nun für Sie, als »nur« Intendant den Probenverlauf zu verfolgen?

Christian Struppeck: Das ist auch aufregend. Es ist natürlich ein bisschen anders als bei einer Uraufführung, aber es macht mir auch hier sehr viel Spaß zu sehen, wie das Stück entsteht. Insbesondere weil es keine 1:1 Kopie ist, wie man sich das immer vorstellt. Sondern es wird intensiv mit den Schauspieler:innen erarbeitet, sie werden immer ermutigt, sich selbst einzubringen. Letzte Woche hatten wir den ersten Durchlauf und da habe ich mir wieder gedacht, dass dieses Stück wirklich so perfekt geschrieben wurde, dass es sogar hier auf der Probebühne handwerklich und emotional beeindruckt. Und genau so muss es sein, bevor dann nächste Woche die großartigen Kostüme, das riesige Bühnenbild und das tolle Orchester hinzukommen.

Blimu: Es ist faszinierend, wie offen anscheinend der eigentlich vermeintlich enge Rahmen zu sein scheint, in dem sich die Charaktere entwickeln dürfen. Das würde man bei Webber nicht zwingend erwarten. War dies von Anfang an Teil der Verhandlungen, dass Sie es so »frei« auf die Bühne bringen dürfen?

CS: Ich habe mit Cameron Mackintosh geredet und erzählt, wieviel Interesse hier noch immer am »Phantom« herrscht. Er hat dann gesagt, dass es ja die neuere Version gibt, ob die nicht etwas für uns wäre. Ich habe dann darüber nachgedacht und fand das spannend, nicht mit dem wieder auf die Bühne zu gehen, was es schon vor 40 Jahren gab. Sondern mit einer Produktion, die ein bisschen moderner ist, ein bisschen jünger, eine, die noch mehr Spezialeffekte hat. Vom Gefühl her ist es natürlich ein sehr ähnliches Erlebnis, wie es damals war, wir haben dieselben Kostüme und natürlich die fantastische Musik, aber es ist toll zu sehen, dass es auch mit etwas anders entwickelten Charakteren noch immer genauso gut funktioniert.

Blimu: Jetzt läuft ja »Rock Me Amadeus« wahnsinnig gut, auch der Vorverkauf vom »Phantom« läuft extrem gut. Wie schaut die Planungsphase bei Ihnen im Moment aus? Es klang ja an, dass jetzt schon wieder das nächste Stück auf die Bühne soll, bei dem Erfolg wäre das aber vermutlich eine schwere Entscheidung?

CS: Wir sind natürlich immer in der Planungsphase, aber heute nicht so weit, dass wir etwas verkünden könnten. Als großer Betrieb haben wir immer die Herausforderung, dass wir leider keine spontane Entscheidungen treffen können. Wenn man bei einem Stück feststellt, dass es erfolgreich ist, kann man in der freien Wirtschaft, z. B. in London, einfach entscheiden, dass es verlängert wird. Wir haben hier aber ein sehr ausgeklügeltes System, sehr viele Mitarbeiter und eben Entscheidungen, die viel Vorlauf brauchen. Deswegen ist es immer eine Frage des richtigen Moments, den man abpassen muss, wenn es darum geht, ob man mit einem Stück aufhört oder doch noch in eine zweite Saison geht. Das Zeitfenster, diese Entscheidung zu treffen, ist sehr klein, ist eine Entscheidung einmal getroffen, lässt sie sich nicht mehr einfach so rückgängig machen.

Blimu: Aber es ist sehr schön, dass nach der Post-Corona-Anlaufthematik das Publikum wieder voll zurück ist. Bei »Der Glöckner von Notre Dame« war das ja anfänglich noch eher verhalten.

CS: Ja, darüber sind wir auch sehr glücklich. Dass bei dem Titel das Interesse da ist, war uns bewusst, dass es so schnell ganz voll war, war für uns auch total überraschend.

Blimu: Und es war eine besonders schöne Überraschung, dass es dann tatsächlich noch eine CD gab.

CS: Wir machen das ja immer zusammen mit unseren Partnern. Und dass Disney entschieden hat, noch einmal eine deutsche Aufnahme zu machen, mit dem großen Orchester, war natürlich für uns eine große Ehre.

Blimu: Wird es von Ihrer Version vom Phantom auch eine CD geben, gibt es hierzu Verhandlungen?

CS: Das kann ich noch nicht sagen, das wird meist erst entschieden, wenn es dann auf der Bühne ist. Die Lizenzgeber und die Partner, die die CD machen, müssen erst einmal einen Eindruck von der Produktion bekommen und entscheiden dann. Da stehen viele Überlegungen an: Wieviele CDs gibt es bereits, wann gab es die letzte Aufnahme – alles wird genau hinterfragt. Wir haben immer das gute Argument mit dem großen Orchester, darum durfte es ja auch die »Cats«-CD geben. Darum bin ich immer froh, dass es zumindest die Gespräche darüber gibt.