Kennt Witzschigkeit wirklich keine Grenzen? »Kein Pardon« am F1rst Stage Theater Hamburg

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Es war im Jahre 1993, als Hape Kerkeling das deutsche Publikum mit seinem Film »Kein Pardon« begeisterte. Kerkeling kann und konnte machen, was er wollte, alles wurde bejubelt (zurecht) und Kult (zurecht) – und zumindest Kinder der 80er und 90er werden wohl auch heute noch das eine oder andere Zitat aus seiner Feder auf ihren Lippen haben. Kaum jemand versteht Zeitgeist so gut wie er, gepaart mit feinsinnigem Humor, der, immer mal wieder, an genau den richtigen Stellen Grenzen überschreitet.

Mit »Kein Pardon« persiflierte er die deutsche Fernsehwelt – oder vielleicht war es doch nur ein gut geputzter Spiegel, mit dem sichtbar wurde, was viele eigentlich nicht sehen wollten? Einige Jahre später kam Thomas Herrmanns, ebenfalls ein Fernsehmensch, auf die Idee, aus dem genialen Film ein weit weniger geniales Musical zu machen. Dieses feierte seine Uraufführung am 12. November 2011 im Düsseldorfer Capitol Theater und lief dort rund ein Jahr, die zusätzliche Musik zum Musical wurde von Achim Hagemann, Kerkelings langjährigem Bühnenpartner und bereits Komponist der Filmmusik, sowie Thomas Zaufke geliefert. Die musikalischen Nummern funktionieren, mal wurden große Broadwaynummern kreiert und mal auch powervolle Balladen – hier wurde gewusst, was gemacht wird.

Viele Momente sind 1:1 übernommen und man merkt dem Publikum an, dass diese Szenen sofort zünden. Gelacht wird wahrlich viel an diesem Abend im F1rst Stage Theater, es wird geschunkelt und es gibt sofort mit Schluss Standing Ovations – und dies ganz zurecht, denn was in Düsseldorf mit einer großen Bühne, viel Glitzer, Glamour und Showeffekten daherkam, funktioniert hier in Hamburg tatsächlich durch den intimen Rahmen des kleinen Theaters und die überbordende Spielfreude der Darsteller fast besser. Mitunter um die dreißig Personen spielen sich in die Herzen der Zuschauer, ein Großteil der Hauptrollen ist gerade mit der Ausbildung fertig geworden. Philip Rakoczy hat, optisch weit entfernt vom jungen Kerkerling oder auch damals Enrico De Pieri, seine ganz eigene und sehr quirlige Interpretation der Rolle gefunden. Stimmlich meistert er es wahrlich spielerisch, ihm sieht und hört man gleichermaßen gern zu und die freiwerdende Energie springt punktgenau ins Publikum über. Ihm in nichts nach steht Munja Meier als seine Mutter. Man weiß, dass sie für die Rolle zu jung sein mag, aber man denkt es nie und wünscht sich, dass sie doch viel, viel mehr zu singen und zu spielen hätte. Der Weg dieser beiden jungen Talente wird noch spannend werden. Gesanglich auch sehr stark steht Ilka Kottkamp ihre Frau – unter der Rolle der Ulla hatte damals schon Roberta Valentini »zu leiden« und dieses Schicksal ereilt nun auch Kottkamp. Es wäre doch so schön, wenn – ja wenn – wenn diese Rolle einfach besser geschrieben wäre. Ausfüllen kann Kottkamp sie auf jeden Fall. Viola Bremer und Pascel Giebel geben als Oma und Opa Schlönzke ihr Bestes, diesen Rollen, vor allem dem Opa, merkt man leider auch am stärksten an, dass sie viel zu jung besetzt sind. Dies soll nicht die Leistung der Darsteller schmälern, wenn man in das F1rst Stage Theater geht, weiß man ja um diese Prämisse, die man als Zuschauer eingeht, und im Gegensatz dazu wird man von der überbordenden Energie der Jugend beeindruckt. Erwähnenswert sind auch Timo Stark als Bertram, Marc Verhaelen als Walter und Victoria Kerbel als Doris im Schleimspuren-Produktions-Trio. Hier sticht vor allem Svea Pöhner als Karin hervor – speziell ihr »Käffchen« jederzeit, ob im Dialog als auch im Lied, ist großartig, als Talkshowmeisterin ist sie dann rollengerecht völlig überzogen. Als Heinz Wäscher (und Uschi Blum mit bewundernswerten Beinen) steht Nik Breidenbach auf der Bühne. Der Ur-Herbert aus »Tanz der Vampire« ist mittlerweile in der Hamburger Szene wohlbekannt und fest verankert, auch er ist optisch von den Vorbildern für die Rolle, Dirk Bach bzw. im Ursprung Heinz Schenk, weit entfernt: Als große, schlanke Erscheinung zieht er direkt alle Blicke auf sich und hält, dank seiner Ausstrahlung, den Fokus auch selbst als Nebenfigur auf der Bühne bei sich. Dialekt, das Fernseh-Grinsen und die Wut sitzen perfekt und so gibt er die Rollen ganz anders, aber doch in sich perfekt überzeugend.

Franziska Kuropka, die sich mittlerweile einen großen Namen als Autorin für vor allem humorvolle Stücke gemacht hat, führt hier alleinige Regie und macht dies sehr gut. Kuropka hat Fingerspitzengefühl und alles, was das Libretto an kleinem und großem Witz bereithält, lässt sie wie ein Feuerwerk zünden. Herausstechend war die Uschi-Blum-Szene, die kaum an optischem Witz hätte überboten werden können; hier stach auch die Choreografie von Sven Niemeyer besonders positiv ins Auge. Diese überzeugten aber auch in den vielen anderen Szenen, in denen die Schönheit des Fernsehballetts genauso wie der Ruhrpottcharme tänzerisch gekonnt herausgearbeitet wurden. Die Kostüme von Volker Deutschmann und Hermine Seifert spiegeln die damalige Zeit wider. Egal ob glitzrig, schrill bunt oder mit Pullunder – das Setting ist jederzeit klar erkennbar.

Ein musikalisches Wunderwerk sind die Musiker – gerade einmal vier Mann stark unter der Leitung von Nicolas Mischke zaubert die Band hier einen Ton, der der Musik mehr als würdig ist. Das Bühnenbild von Felix Wienbürger hat es nicht leicht – viele verschiedene Szenen wollen hier sehr schnell aneinandergereiht werden und oftmals finden Dinge z. B. im Studio und parallel in Schlönzkes Wohnung statt, so dass die nicht zu große Bühne geschickt unterteilt werden musste. Dies gelingt ihm, besonders hübsch im typischen 80er-Design ist die Wohnung geworden, die sich durch eine Drehung sofort in das Schnittchen-Geschäft verwandeln lässt. Auch die Showtreppe setzt einen guten glitzernden Akzent – aber besonders hervorstechend und genial gelöst, schon für die Stimmung vor der Vorstellung, sind die vielen Fernseher-Monitore, die rund um das Bühnenportal platziert wurden. Bis zum Vorstellungsbeginn laufen hier Ausschnitte aus den bekanntesten Shows der deutschen Fernsehgeschichte, danach werden dort dann die »live«-Bilder aus den gerade entstehenden Fernsehsendungen gezeigt. Der Einfall erscheint einfach, ist aber äußerst effektiv, denn man kann schon vor der Vorstellung hören, wie sich die Zuschauer über die Ausschnitte von damals amüsieren und gemeinsam fachsimplen. So entsteht eine Stimmung, die grundlegend für den Erfolg dieser Inszenierung ist, aus der wirklich jeder – trotz der Schwächen im Buch – mit einem guten Gefühl und bestens unterhalten nach Hause geht.

Dies ist die Kurzfassung der Rezension, die in der kommenden Ausgabe unserer blickpunkt musical, Nr. 136 / 04-2025 erscheint.

Nach der Vorstellung haben sich die beiden männlichen Hauptdarsteller des Stücks, Nik Breidenbach (Heinz Wäscher) und Philip Rakoczy (Peter Schlönzke) noch Zeit für ein kurzes Interview für uns genommen.

blickpunkt musical: Lieber Herr Breidenbach, Sie dürfen, als Einziger auf der Bühne, schon auf sehr viele große Meilensteine in Ihrer Karriere zurückblicken, aber es ist das erste Mal, dass Sie hier am F1rst Stage Theater arbeiten – wie kam es zu dazu?

Nik Breidenbach: Das war ehrlich gesagt ganz einfach: Ich kenne Franziska Kuropka gut, sie hat mich angerufen und gefragt, ob ich Lust auf das Projekt hätte. Und natürlich hatte ich! Ich kannte das Stück schon aus Düsseldorf; was mir dann aber nicht mehr bewusst war, war, dass die Rolle nicht nur Heinz Wäscher, sondern auch Uschi Blum umfasst. Dirk Bach liebe ich sehr, bei ihm war es eigentlich egal, was er gemacht hat, es war immer super. Aber das ist trotzdem schon viele Jahre her und die Erinnerung an die Show ist bei mir verblasst. Was gut war, denn so konnte ich jetzt unvorbelastet meine ganz eigene Interpretation finden. Wobei ich eh immer versuche, ganz frei an die Sachen heranzugehen. Was nicht heißt, dass ich mich nicht inspirieren lasse von großen und großartigen Schauspielern. Aber letztendlich bin es dann ja immer ich, der es umsetzt.

blimu: Was zeichnet denn für Sie die Inszenierung hier aus?

NB: Es ist total flott, sehr energetisch inszeniert. Alle sind so jung, das färbt total ab. Dieser ganze Elan, diese große Freude an allem. Bei älteren Kollegen hat man dann schon immer mal wieder welche, die mit irgendetwas unzufrieden sind, wo dieses unbedingte Brennen für die Bühne nicht mehr so da ist. Hier aber hat es jeder und das lässt eine ganz andere Form von Energie entstehen, die einfach nur Spaß macht. Und Franzi ist so toll auf uns alle eingegangen, das war auch eine pure Freude. Und – ganz ehrlich – wo hat man denn noch so viele Leute auf einer Bühne? Die meisten Theater können das gar nicht mehr bezahlen. Es hier dann aber zu erleben, als Teil davon, ist wirklich sehr schön.

blimu: Sie haben auch lange Zeit unterrichtet, die Arbeit mit den jungen Menschen scheint Ihnen sehr am Herzen zu liegen.

NB: Ich bin ja hier faktisch ein Fremdobjekt, aber ich wurde so herzlich aufgenommen, dass ich dafür wirklich sehr dankbar bin. Und natürlich hoffe ich, dass ich auch etwas zurückgeben kann: Gerade für die jungen Talente ist es wichtig, dass sie, wenn sie frisch in diesen Job kommen, gut aufgenommen werden und verlässliche Mentoren an ihren Seiten haben. Im Grunde genommen wie in jedem Beruf. Niemand, der frisch anfängt, kann alles wissen und kennen, jeder braucht mal jemanden, der ihm hilft. Wenn sie dann auf Menschen treffen, die vielleicht gerade mit ihrer Karriere frustriert sind, zeichnet das ein Bild, das sie eigentlich nicht bekommen sollten. Man sollte immer im Blick haben, was einem wirklich noch guttut, man darf auf sich achten und im Zweifelsfall sollte man sonst vielleicht einfach aus einem Projekt rausgehen. Aber das muss man alles lernen. Und wenn ich das eine oder andere weitergeben darf, dann freut mich das sehr – und im Gegenzug dazu darf ich dann in den Genuss dieser überbordenden Energie hier kommen und davon profitieren!

blimu: Wo darf man Sie denn nach »Kein Pardon« erleben?

NB: Ich habe jetzt wirklich sehr lange in Hamburg leben und arbeiten dürfen, was für einen Darsteller immer ein Geschenk ist. Aber den Sommer über werde ich jetzt in Braunschweig in einer Schlager-Komödie mitspielen. Und dann muss ich tatsächlich wieder einmal umziehen für eine neue Rolle, aber außer, dass ich mich da schon sehr drauf freue, darf ich leider noch nichts dazu verraten.

blimu: Dann bleiben wir gespannt und freuen uns, Sie dann wieder auf der Bühne sehen zu dürfen! Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für uns genommen haben!

Lieber Herr Rakoczy, auch an Sie vielen Dank für die Zeit jetzt. Sie sind jetzt gerade mit der Ausbildung fertig geworden und spielen hier die Hauptrolle. Wie geht es Ihnen damit?

Philip Rakoczy: Es ist herausfordernd. Und wirklich, wirklich schön. Franziska Kuropka ist fantastisch, ein echter Goldschatz, und ich bin total glücklich, dass ich sie durch diese Produktion kennenlernen durfte. In der Ausbildung machen wir hauptsächlich Galas, dann im letzten Jahr war ich bei »RENT« das erste Mal Teil eines echten Musicals, aber da hat Ilka Kottkamp die Regie gemacht, die heut Abend als Ulla auf der Bühne stand. Und sie hat das super gemacht, aber wenn dann jemand Externes kommt, mit so viel Berufserfahrung auf unterschiedlichen Ebenen, dann ist das tatsächlich noch einmal etwas ganz anderes.

blimu: Was hat die Arbeit von Frau Kuropka für Sie ausgezeichnet?

PR: Ich durfte die Rolle für mich selbst komplett neu entdecken und vieles ausprobieren. Ich musste nicht Hape Kerkerling kopieren, nur weil er die Rolle im Ursprung gespielt hat, sondern ich durfte ganz ich bleiben, meine ganz eigene Version von Peter Schlönzke auf die Bühne bringen.

blimu: Sie sind sehr jung – kannten Sie den Film überhaupt vorher?

PR: Nein. Aufgrund des 60. Geburtstags von Hape war er in der ARD-Mediathek und da habe ich ihn mir dann angeschaut. Und war dann, ganz ehrlich, skeptisch. Ich fand es auch nicht wahnsinnig witzig, diese ganzen Runnings-Gags darin – mir hat da tatsächlich die Vorstellung gefehlt, wie daraus ein gutes Musical werden kann. Als wir dann angefangen haben zu proben, war ich umso mehr geflasht, vor allem von den Liedern, die haben mich wirklich gecatcht. Und auch den Humor dahinter habe ich mit jedem Probentag mehr und mehr verstanden, obwohl ja vieles weit weg von meiner Lebensrealität ist. Aber wenn ich jetzt jeden Tag sehe, wie sich das Publikum zum Teil wegschmeißt vor Lachen, ist das wirklich total super. Auch wenn es durchaus herausfordernd ist, eine Komödie zu spielen. Bei den Galas war ich immer in meiner Komfortzone, jetzt muss ich da ein bisschen raus, aber das finde ich klasse.

blimu: Die Thematik ist ja tatsächlich schon vom Setting ganz anders als alles, womit die Jugendlichen heute noch aufwachsen. Wer kennt denn noch das Gefühl, mit der ganzen Familie Samstag abends vor dem Fernseher zu sitzen und auf eine Show hinzufiebern? Das Fernsehverhalten hat sich völlig verändert.

PR: Ja, absolut. Was ich noch vom Hören kannte, war »Wetten, dass…?«, aber aktiv geschaut habe ich das nie. Bei der Recherche für das Stück habe ich dann in viele Sachen auf YouTube reingeschaut und war ganz überrascht, dass es wirklich so überzogen war, wie wir es darstellen. Was ich aber tatsächlich schön finde, ist der Gedanke, dass damals einfach alle dasselbe geschaut haben, dass es sozusagen einen nationalen »Fernsehwissensstand« gab, auf dem alle waren. Nicht so wie heute, wo es so viele kleinere Formate gibt, die aber immer nur wenige kennen. »Oberaffengeil« im Schmidts Tivoli funktioniert genau deshalb so gut – weil die Zuschauer im Publikum jede Anspielung sofort kennen. Ich glaube, dass wir das in 20 oder 30 Jahren nicht mehr hinbekommen, weil wir jetzt solche Sendungen gar nicht mehr haben. Auch die Vorstellung, dass es einen festen Moment gab, zu dem alle Generationen zusammenkamen und gemeinsam etwas geschaut haben, finde ich total schön.

blimu: Dieses Eintauchen in eine ganz andere Welt – hat das die Erarbeitung der Rolle für Sie einfacher oder schwerer gemacht?

PR: Den zeitlichen Kontext musste ich mir kurz erarbeiten, aber ansonsten hat Franzi es mir wirklich sehr einfach gemacht. Ich bin ständig abends nach Hause gekommen und habe in mein Tagebuch geschrieben, dass es wieder ein total schöner Tag war. Sie hat für uns alle einen Safe Space geschaffen, wo wir uns völlig frei ausprobieren durften. Sie wollte, dass wir alles probieren, wenn sie etwas nicht gut fand, hat sie das dann auch klar gesagt, aber durch diese Freiheiten war es fordernd in einem sehr positiven Sinne. Und ich spiele auch immer noch jeden Abend damit, neue Nuancen in den einzelnen Momenten zu finden. Die Rolle hat ja auch viele sehr unterschiedliche Momente, der große Star oder dann der Moment, wo man vor der Familie steht und merkt, dass sie nichts mehr mit einem zu tun haben wollen – da gibt es so viel zu entdecken!

blimu: Peter wird in kurzer Zeit zum großen Star und vergisst dabei Familie und Freunde. Haben Sie Angst, dass Ihnen das passieren könnte? Sie sind ja gerade dabei, den hoffentlich sehr erfolgreichen Weg zu starten.

PR: Nein. Ehrlich gesagt habe ich davor keine Angst. Alles, was ich auf der Bühne zeigen darf, kann ich nur zeigen, weil ich immer so unfassbar viel Unterstützung von meiner Familie erfahren habe. Ich bin halb Pole und ich glaube, dass wir in vielen Dingen eine andere Mentalität haben, auch was Familie und Zusammenhalt betrifft. Außerdem gehe ich fest davon aus, dass, sollte das passieren, ich sehr schnell von einigen Leuten etwas zu hören bekommen würde, damit ich vom hohen Ross runterkomme.

blimu: Wo darf man Sie denn als nächstes auf der Bühne sehen?

PR: Ich werde bei einer Tour mitspielen, da freue ich mich schon darauf, das ist dann ja wirklich ein ganz anderes Leben, als wir es hier an der Schule hatten. Und dann mal schauen, ich träume davon, irgendwann in Wien zu spielen.

blimu: Wir drücken auf jeden Fall ganz fest die Daumen und freuen uns, Ihre Karriere weiterzuverfolgen!