Jeder von uns kommt von woanders: Deutschsprachige Erstaufführung von »Come From Away« am Theater Regensburg

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Um vom Norden in den Süden Regensburg zu kommen, sind es 12,81 km, die Entfernung von Westen nach Osten ist nur geringfügig weniger – 12,07 km. In dem Moment, wo die Regensburger diese Grenze überschreiten, sind sie Menschen von woanders. Und jeder einzelne der zahlreichen Zuschauer, die extra für dieses Stück nach Regensburg anreisen, ist ein Mensch von woanders. Und obwohl es jeden immer wieder selbst betrifft, wird sehr gern und sehr schnell vergessen, dass jeder von uns immer und immer wieder ein Mensch ist, der sein Zuhause verlässt, um ein Mensch von woanders zu sein – und im neuen Woanders auf ein respektvolles Miteinander hofft.

Irene Sankoff und David Hein fielen erstmals mit dem autobiografischen Musical »My Mother´s Lesbian Jewish Wiccan Wedding« auf. In diesem Stück entwickelten sie den Erzählstil, der ihnen dann für »Come From Away (Die von woanders)« zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem einen Tony Award sowie einen Olivier Award, einbrachte – und zahlreiche begeisterte Zuschauer.

Am 11. September 2001, nach der Schließung des amerikanischen Luftraums, wurden unerwartet 39 Flugzeuge nach Gander umgeleitet. Nach vielen Stunden, in denen die Passagiere und die Crews in den Flugzeugen gefangen waren und niemand Informationen hatte, was eigentlich passiert war, wurden sie endlich aus den Flugzeugen hinausgelassen. Die Einwohner von Gander hatten ihnen in der Zwischenzeit Notunterkünfte und Essen bereitgestellt – auf fast jeden Einwohner der Kleinstadt kam ein Gestrandeter, den es zu versorgen galt. Es entstehen Liebesgeschichten und bis heute anhaltende Freundschaften. Das Musical gleitet nie ins Kitschige, nie ins Überemotionale und nie ins Absurde ab. Und trotzdem wird sehr viel gelacht und ebenso lässt sich deutlich vernehmen, dass im Publikum auch Tränen fließen.

Die Übersetzung des Stücks stammt von Sabine Ruflair, sie ist sehr behutsam mit den Texten umgegangen. Die vielen Dialekte des Originals fallen dabei zwar etwas unter den Tisch, aber insgesamt ist es nun auch auf Deutsch ein Werk aus einem Guss. Die Anpassungen an unseren Sprachgebrauch sind ebenfalls gut gelungen und die schlechten Witze, die Beulah erzählt, sind auch auf Deutsch noch immer so herrlich schlecht wie auf Englisch.

Regisseur Sebastian Ritschel erzählt, dass es ihm darum ging, aus über 400 Bewerbern diejenigen zusammenzustellen, die gemeinsam das harmonischste Ensemble bildeten und dazu kann man ihm nur gratulieren. Egal, wie gut und dicht dies Stück geschrieben ist – das, was die Darsteller dort in den letzten Wochen an Verbundenheit erarbeitet haben, ist einzigartig. Ob in den durchaus anspruchsvollen Choreografien von Gabriel Pitoni in den großen Ensemblenummern wie ›Welcome to the Rock‹ oder auch der Barszene ›Wir sind durch‹, aber auch in den kleinen Momenten voller Emotionalität ebenso wie Intimität, zeigt sich die harte Arbeit, die dazu führte, jetzt alles so spielerisch wirken zu lassen. Ritschel beweist ein bewundernswertes Gespür für die Inszenierung des Stückes, denn je weniger Bühnenbild und Kostüme helfen können, desto wichtiger wird eine klare Personenregie. Hier haben er und sein Team Herausragendes geleistet. Die Kostüme sind kaum als solche zu erkennen, die Darsteller tragen Alltagskleidung und springen durch minimalste Veränderungen, sei es ein Jackett oder eine Mütze, in eine der zahlreichen Rollen, die jeder einzelne von ihnen spielt. Das Bühnenbild (gesamte Ausstattung Kristopher Kempf) verbindet auf schlichteste Weise sowohl die Twin Towers des World Trade Centers mit ihren berühmten Stahlträgern als auch den zweistöckigen Flughafen Ganders. Auf der Bühne selbst finden sich nur weiße Stühle und Tische, mit wenigen Bewegungen entstehen so die Flugzeuge, die Bar oder auch die Notunterkünfte. Das Licht von Maximilian Rudolph ist auch einer der Hauptakteure bei der schlichten Bühnengestaltung. Mit wenigen Akzenten und sehr klar abgegrenzten Bühnenräumen unterstreicht es elegant den filmischen Charakter der Inszenierung. Im zweiten Stock des bühnenrahmenbildenden Stahlgerüstes findet man die Band unter Leitung von Andreas Kowalewitz. Die Musik wird sehr punktiert und mit großer Kraft gespielt, auch die so entstehende Energie trägt zu dem sehr großen Erfolg dieser Erstaufführung bei.

Bei so einer großartig aufeinander abgestimmten Cast ist es immer schwierig, jemanden hervorzuheben. Gesanglich alle homogen auf sehr hohem Niveau überzeugen sie auch schauspielerisch mit einer so ausgefeilten und berührenden Darbietung, dass selbst der kleinste Moment und der vermeintlich nebensächlichste Satz zur Geltung kommt. Selbst wenn nicht immer alle im Scheinwerferlicht stehen, sind alle stets mit Körperspannung und Präsenz auf der Bühne und unterstützen so die Spannung, die über die ganzen 150 Minuten nie verloren geht. Andreas Bieber, ebenso wie Felix Babas, Alejandro Nicolás Firlei Fernández, Carin Filipčić, Benedikt Eder, Patricia Hodell, Patrick Imhof, Jogi Kaiser, Masengu Kanyinda, Lionel van Lawrence, Fabiana Locke, Maria Mucha, Scarlett Pulwey und Wietske van Tongeren – der nicht enden wollende Schlussapplaus gebührt jeder und jedem von ihnen gleichermaßen verdient!

Einer der Momente, dem man sich als Zuschauer nicht entziehen kann, weil er widerspiegelt, was eigentlich gar nicht in Frage stehen sollte, ist die Szene des Gebets. Was als christliches Lied startet, wird gestützt von jüdischen sowie muslimischen Einflüssen. Hier kommen Menschen zusammen, die, völlig unabhängig von der jeweiligen Herkunft in einer Sache vereint sind: dem Glauben. In dieser Szene wird zusammengefasst, um was es im Leben eigentlich gehen sollte – wir sind alle eins, nämlich Menschen. Es sollte kein Besser, kein Schlechter geben. Stattdessen ein Miteinander.

Sebastian Ritschel und Ronny Scholz (Dramaturg am Theater Regensburg) haben jahrelang um die Aufführungsrechte gekämpft. Dieser Kampf hat sich mehr als gelohnt und hätte es ein Stück gebraucht, um zu unterstreichen, wie wichtig Kultur im Leben von Menschen ist und was Musical alles sein kann, dann unterstreicht diese Aufführung das und setzt noch ein dickes Ausrufezeichen dahinter. Aber vielleicht noch wichtiger – es zeigt, was perfekt gemachtes Theater kann: Die Zeit für einen kurzen Moment anhalten, das eigene Leben vergessen lassen und dennoch Denkanstöße dafür mitgeben und die Seele der Zuschauer mit Emotionen füllen.

In Regensburg gibt es schon lange vor der Premiere nur noch vereinzelte Restkarten, eine weitere Aufführungsreihe am Deutschen Theater folgt Anfang Juli. Mehr Informationen: https://www.theaterregensburg.de

 

Dies ist eine gekürzte Version des Artikels, der in der kommenden Ausgabe unserer blickpunkt musical Nr. 134 / 02-2025 erscheinen wird.