Achtung, neu! »Ku´damm 59 – Das Musical« im Berliner Theater des Westens

Foto: sunstroem

Bereits drei Jahre ist es her, dass das Songwriter-Duo Peter Plate und Ulf Leo Sommer »Ku´damm 56 – Das Musical« auf die Bühne brachte, basierend auf der dreiteiligen ZDF-Fernsehfilmreihe, deren Idee und Drehbuch Annette Hess verantwortete. Mit ihr zusammen entstand die Idee für das Musical, welches von der konservativen Tanzschulbesitzerin Caterina Schöllack (Katja Uhlig) und deren drei Töchtern Monika, Eva und Helga berichtete. Der Aufbruch der Jugend in der Nachkriegszeit, das Wirtschaftswunder sowie die prüden Moralvorstellungen, die Sehnsucht nach Werten und die Entdeckung der Sexualität im geteilten Berlin waren die großen Themen. Auch wenn damals keine Fortsetzung für die Bühne kommen sollte, feierte genau diese gestern Abend ihre Uraufführung. »Ku´damm 59 – Das Musical« setzt drei Jahre nach dem Ende des ersten Musicals an. Es ist viel passiert, die jungen Frauen sind gereift und ihre großen Hoffnungen – so viel darf man verraten – haben sich nicht erfüllt. 

Foto: sunstroem

Monika (Celina dos Santos) hat ihre uneheliche Tochter zur Welt gebracht, die in der Obhut ihrer Schwester Helga (Pamina Lenn) und deren Mann Wolfgang (Philipp Nowicki) lebt. Voller Hoffnung glaubt Monika daran, eines Tages ihr Kind selbst aufzuziehen: ›Ich versprech´ dir‹. 
Die Aussicht, in der neuen Show von Christa Moser (Steffi Irmen) aufzutreten, erfüllt weder Monika noch ihren Freund Freddy (Mathias Reiser) mit Freude. Doch sie nutzen die Show als Sprungbrett für ihre Karriere (›Geh ran‹) und werden wirklich für den anstehenden Heimatfilm besetzt. Derweil versucht sich Eva (Isabel Waltsgott) gegen ihren engstirnigen Mann, Prof. Dr. Jürgen Fassbender (Dominik Schulz), durchzusetzen. Helga setzt alles daran, ihre Nichte zu adoptieren, um endlich das Vorzeige-Familien-Leben zu führen, von dem sie schon so lange träumt, auch wenn Monika sich dagegen ausspricht. Als Monika eines Abends durch Zufall Joachim über den Weg läuft, der nach dem Tod seines Vaters die Waffenfabrik übernommen hat, kommen ihre alten Gefühle wieder an die Oberfläche. Der ›Frühling in Berlin‹ bewegt sie beide, doch Joachim ist derweil verheiratet.
Während der Dreharbeiten müssen sich Freddy und Monika den Wünschen der Regisseurin fügen: ›Hotel am Wolfgangsee‹. Monika tut es aus Pflichtgefühl ihrer Tochter gegenüber, um mit ihrer Bekanntheit und ihrer Gage die Basis für ein sicheres Elternhaus zu schaffen. Sie bittet Freddy, den Vater des Kindes, sie zu heiraten, doch dieser verweigert dies. Trotz ihrer Auseinandersetzung muss der ›Showbetrieb‹ weitergehen.

Foto: sunstroem

Während Eva und Helga in ihren Rollen als Ehefrauen immer blasser werden und sich von ihren Männern emotional distanzieren (›Willkommen im Erwachsensein‹), nähert sich Joachim Monika wieder an. In regelmäßigen Telefonaten stärkt er ihr den Rücken und bestärkt sie darin, dass sie eines Tages ihre Tochter aufziehen wird. Freddy, der durch eine zufällige Begegnung an seine traumatische Zeit in Auschwitz erinnert wird, verliert die Nerven. Als bei einer Pressekonferenz herauskommt, dass er Jude ist, kommt es zum Skandal. Auch Monikas uneheliches Kind findet in den Zeitungsberichten ihre Erwähnung. Der Film droht noch vor der Fertigstellung eine Pleite zu werden. 
Von all dem bekommt Eva, die ihren Mann verlassen hat, nichts mit. Sie genießt es, auf eigenen Füßen zu stehen, wählt jedoch einen skandalösen Weg, um ihr Leben zu finanzieren: ›Honig‹. 
Helga leidet unter dem Skandal, in den ihre Familie involviert ist. Ihre ganz persönliche Tragödie beginnt, als Wolfgang ihr gesteht, dass er sich verliebt hat. Im Gericht hat er Hans (Alexander Auler) getroffen, einen Anwalt aus dem Osten der Stadt. Gemeinsam träumen sie von einer Liebe ›Zwischen Ost und West‹. Doch Helga kann nicht über Schatten springen und hält an ihrer Idee von Glück fest (›1! 2! 3!‹). Derweil kämpft ihre Mutter um das Fortbestehen der Tanzschule und bietet sich Christa Moser für ihren nächsten Film an: ›Belinda Hochreiter‹. Doch Christa hat ein persönliches Interesse an Caterina, was diese entschieden von sich weist. 

Foto: Dominic Ernst

Monika und Freddy widmen sich wieder ihrer Musik: ›Marie läuft Amok‹ wird zum Hit. Währenddessen muss Eva dafür büßen, dass sie ihren Mann verlassen hat. Als sie nach einem brutalen Übergriff aus dem Koma erwacht und Jürgen sich wieder ihrer annimmt, bestimmt sie fortan die Regeln für das weitere Zusammensein. Derweil muss sich Helga auf ein Leben allein einstellen. Monika scheint in der ›Liebmichallee‹ endlich ihr Glück gefunden zu haben. Ein Glück, das sie mit Joachim und Freddy, aber auch mit ihrer Mutter bereit ist zu teilen. 

Foto: Jörn Hartmann

Mit »Ku´damm 59 – Das Musical« ist Peter Plate, Ulf Leo Sommer und Annette Hess eine Fortsetzung gelungen, die an den Erfolg von »Ku´damm 56 – Das Musical« anschließt. Wer das erste Stück gesehen hat, trifft auf bekannte Figuren, deren Geschichte in der Fortsetzung an Tiefe gewinnt. Wer erst mit dem zweiten Teil ins Leben der vier Frauen im Fokus einsteigt, wird durch die Dialoge und Songs zu den vorangegangenen Erlebnissen getragen. Allen voran Celina dos Santos, Katja Uhlig und Steffi Irmen überzeugen im Spiel und noch mehr durch ihre charakterstarken Stimmen, die den Saal bis zur letzten Reihe einnehmen. David Nádvornik als Joachim und Mathias Reise als Freddy stechen als Monikas Männer aus dem Cast hervor. Eigenwillig und typgerecht bahnen sie sich ihren Weg durchs Leben. Doch den emotionalsten Moment schenkt Philipp Nowicki (Wolfgang) dem Publikum, wenn er von seinen befreiten Gefühlen und der aufrichtigen Liebe zum eigenen Geschlecht singt, welche zur Handlungszeit des Stücks noch strafrechtlich verfolgt wurde. Neben den persönlichen Schicksalen der Frauen und ihrer männlichen Gegenparts sind es doch auch die geschichtlichen Aspekte des Stücks, die deutlich im Vordergrund stehen. Die Unterordnung der Frau, die noch nachhallende nationalsozialistische Filmpolitik, die Judenverfolgung und vieles mehr finden ihren Erwähnung im Stück. Viele Themen scheinen aktueller denn je, sodass neben der Unterhaltung, die »Ku´damm 59 – Das Musical« mit seinen mitreißenden Songs bietet, auch Aufklärungsarbeit geleistet wird. Wunderbar beschwingt verlässt man nach diesem Stück das Theater nicht, doch das Gefühl, Berliner Geschichte einmal hautnah miterlebt zu haben, hallt im Kopf nach. Zusammen mit den Liedern, die von blauen Elefanten, großen Gefühlen und einem ganz besonderen Haus in der Liebmichallee erzählen. 

Die ausführliche Kritik zu diesem Stück erscheint in der Ausgabe 129 / 03_2024.