Was ist Zeit, wenn die Zeit stillsteht? Und der gleiche Tag sich in einer Zeitschleife ständig wiederholt?
»Und täglich grüßt das Murmeltier« wurde zum geflügelten Wort für eine sich ständig wiederholende Situation und basiert auf der Film-Komödie »Groundhog Day« von 1993. Der Kultfilm mit Bill Murray und Andie MacDowell in den Hauptrollen und in der Regie des auf Satire spezialisierten Harold Ramis wurde die Vorlage für das gleichnamige Musical mit dem Libretto von Danny Rubin (auch Drehbuch-Coautor des Films) mit der Musik von Tim Minchin (»Mathilda«). Jetzt kam das Musical am TfN in Hildesheim in der flüssigen Übersetzung von Roman Hinze zur deutschsprachigen Erstaufführung.
Im Gegenlicht auf leerer Bühne im fiktiven Fernsehstudio moderiert der Meteorologe Phil Connors die Wetterprognose und dass am 2. Februar der Murmeltiertag ansteht, wo es sich der Legende nach entscheidet, ob jetzt das Frühjahr beginnt oder ob es noch Winter bleibt. Dafür muss er wie jedes Jahr in die Provinz, in die Kleinstadt Punxsutawney, um live von dem feierlichen Festakt zu berichten und ob – der Tradition nach – das Murmeltier aus seinem Bau kriecht oder nicht. Denn: Scheint die Sonne, flieht es vor dem eigenen Schatten zurück in seine Höhle und es bleibt Winter, ist es aber wolkig, bleibt es draußen und der Frühling kommt.
Auf leerer Bühne gibt es in dem minimalistischen Bühnenbild von Felix Wienbürger keine realen Schauplätze, sondern fünf drehbare, verschiebbare Dekorationsteile. Das »aufrechte« Bett wird, zusammengeklappt, zur Theke, zum Piano, zum Auto, zur Bar; wir kommen in die Klinik und auf ein Karussell. Sonst braucht es nur noch einen Tisch und zwei Stühle. Die Kostüme (Sybille Gänßlen-Zeit) sind rustikal, winterlich, zeitgemäß und entsprechen den Charakteren.
Mit Jens Daryousch Ravari und Doris Marlis gehen Regie und Choreografie Hand in Hand und prägen den Stil und das Tempo des Abends. Das Ensemble der Musical Company mit 10 Darstellern ist die Säule der Inszenierung und zeigt auf dieser Zeitreise in 19 verschiedenen Rollen solistische Vielfalt und in höchster Konzentration logistische Präzision bei den temporeichen Umbauten und Szenenwechseln. Sie beweisen mit hervorragenden Stimmen, solistisch und im Ensemble, ihr Können, begeistern bis hin zu der großen Steppnummer »Philanthropie«.
Die 8-köpfige Band unter Leitung von Andreas Unsicker ist der Garant für musikalische Professionalität und überzeugt von Big Band Sound bis zu Country-Rock, aber auch mit Marsch, Polka, Samba, Jazz, Stepp und folkloristischen Anklängen.
Katharina Wollmann als Nancy bleibt in Erinnerung und berührt mit ihrer schwermütigen Ballade ›Nancy spielen‹ als Aufmacher des zweiten Aktes. Johua Edelsbacher mutiert als Ned, ehemaliger Schulkamerad von Phil Conners, vom hektisch-penetranten Versicherungsvertreter fast zum Philosophen, der melancholisch mit der Ballade ›Die Nacht bricht an‹ im Sonnenuntergang das Ende des Lebens sieht.
Irritiert will Silke Dubilier als Pensionswirtin Mrs Lancaster naiv in der Küche mal nachfragen, ob es da vielleicht ein »Déja-vu« gibt. Sie ist u.a. auch noch Klavierlehrerin und Barkeeperin.
Karsten Oliver Wöllm hat als Buster vom Murmeltiertag-Komitee, immer wieder mit dem niedlichen Murmeltier im Arm, die Lacher auf seiner Seite.
Das fröhliche Hochzeitspaar Debbie und Fred (Lucía Bernadas Cavallini / Jack Lucas) gefriert in dem Schneesturm zu »Eis am Stiel«.
Samuel Jonathan Bertz ist Kameramann Larry, Karsten Oliver Wöllm spielt u.a. den alten Bettler Jenson, der in Phils Armen stirbt.
Doch das Herzstück des Musicals sind:Phil Connors (Jürgen Brehm), der Wettermann des Senders, und die TV-Produktionsleiterin Rita Hanson (Elisabeth Köstner).
Elisabeth Köstner zeichnet Rita als starke Persönlichkeit, pragmatisch, gut organisiert. Sie knallt Phil auch ein paar Ohrfeigen, als dieser sie anbaggert, und notiert in ihrem Tagebuch: »Man sagt, Phil ist ein Arschloch – und das stimmt.«
Jürgen Brehm ist als Phil stimmlich und schauspielerisch eine perfekte Besetzung. In ständigem Körpereinsatz kommt er fast nie von der Bühne. Es gibt kein Entrinnen und das ist die Hölle und treibt ihn hin bis zu tiefster Verzweiflung ‒ und seine Stimme schraubt sich hoch bis in die Kopfstimme, ins Falsett. Phil entkommt der Zeitschleife nur, als er erkennt, dass die wiederkehrende Zeit kein Fluch ist, sondern eine Chance. Jetzt nutzt er seine Zeit, lernt konstruktiv zu denken und ändert seine Lebenseinstellung.
Die präzisen szenischen Wiederholungen der einzelnen Szenen sorgen für staunende Lacher und machen wach für die kleinen Veränderungen in diesem Teufelskreis, wo jeder Tag immer gleich ist, mit den gleichen Leuten, den gleichen Sätzen und gleichen Situationen.
Am Schluss fragt Phil: »War‘s das schon?« »Wir haben noch nicht einmal angefangen«, antwortet Rita … und es klingt in uns die Botschaft, dass im Heute der Sinn des Lebens ist ‒ und in der Liebe und Achtung der Mitmenschen.
Das Publikum feierte die Musical Company des TfN zu Recht, die mit dieser deutschen Erstaufführung wieder ihren besonderen Platz in unserer Musicalszene zeigte.
https://tfn-online.de/programm/produktion/und-taeglich-gruesst-das-murmeltier
Die ausführliche Kritik zu diesem Stück erscheint in der Ausgabe 132 / 06_2024.