Nach einer ruhigeren Zeit ist der gemeinnützige Musicalverein OFFstage Germany wieder zurück und hat während der OFF-Musical-Wochen gleich dreifaches Programm im Gepäck. Doch begonnen hat der Verein rund um Vorstandsvorsitz und aktiver Künstler Michael Heller gleich mal mit einer deutschen Erstaufführung: Komponist und Liedtexter Stuart Matthew Price und Librettist Timothy Knapman haben OFFstage Germany »Davor/Danach« (im Original »Before/After«) anvertraut und das war genau die richtige Entscheidung. Bereits bei den ersten Aufführungen zeigte sich das Publikum zurecht begeistert ob der grandiosen Leistung von Kreativteam und Darstellern.
Schon während der Probenphase durften wir sie zu einem kurzen Interview treffen. Zur Wabe als Veranstaltungsort erzählt uns Michael Heller, dass der Geschäftsführer gleich Feuer und Flamme für ein Projekt mit dem auf OFF-Musical spezialisierten Verein war: „Marc Lippuner, der Chef der Wabe, ist immer sehr supportiv gegenüber solchen Projekten. Der hat sich auch damals die “Altar Boyz” angesehen und ist ein toller Kollege. Lippuner ist selber Autor und schreibt Bücher. Mit dem bin ich ins Gespräch gekommen und habe gesagt: Wir wollen etwas machen. Gäbe es die Möglichkeit, hier auch mehrere Sachen aufzuführen? Dann entstand auf einmal die Idee der Off-Musical Wochen, die wir hier dann zeigen. Lippuner hat dann gesagt: Ja, wir machen das. Man bekommt Ende Mai/Anfang Juni hier die volle Ladung Off Musical innerhalb von drei Wochen um die Ohren gehauen.“ Neben den Aufführungen von „Davor/Danach“ sind nämlich noch zwei weitere interessante Programmpunkte des Vereins in der Wabe zu sehen: „Thrill Me“ kehrt endlich für zwei Termine nach Berlin zurück und ein Best Of(f)-Konzert am 9.6. wird es ebenfalls geben.
Dennis Weissert, der in der DEA die Rolle des Ben übernimmt, schwärmt von dem speziellen Ost-Charme der Wabe, aber auch von den gemeinsamen Proben: „[Wir] hatten […] großes Glück, dass wir in unserem Probenzeitraum schon sehr früh mit diesen Musikern arbeiten durften. Das gibt gleich einen unglaublichen Motivationsschub, mit den Musikern zu erklingen und musizieren zu können.“ Auch Darstellerkollegin Sidonie Smith zeigt sich begeistert:
„“Davor/Danach” hat Kammermusik und es ist so toll, wenn man den ganzen Abend auf einer kleinen Bühne einfach zusammen singt. Wir haben das Glück, dass oft alle zu den Proben kommen, was häufig nicht der Fall ist.“, sagt sie. Und als Lidia Kalendareva, die Pianistin und musikalische Leiterin von OFFstage Germany, zum Gespräch dazu kommt, erzählt auch sie von der besonderen Musik von „Davor/Danach“. Neben ihr werden noch Ana Luísa Pereira am Cello sowie Tal Arditi an der klassischen Gitarre zu hören sein. Die intime Kammermusik sei sehr expressionistisch und nicht so banal und eintönig wie die vieler Musicals: “Ich bewundere, welche reiche musikalische Sprache er (Price) bei seiner Komposition benutzt. Er entwickelt ungewöhnliche wie auch starke und mutige Harmonien und Melodien. Von der Musik her ist es eine von den ungewöhnlichsten Sachen, die wir jemals gesungen haben.“ Für diesen Schatz und für die Gelegenheit, diese Komposition kennenlernen und spielen zu dürfen, sei sie immens dankbar. Ebenso schwärmt sie von den Proben und sagt etwas ganz Wichtiges über die künstlerische Zusammenarbeit im Team aus: “Wir haben fantastische Musiker gefunden, proben als Trio. Und es ist alles sehr intim. Obwohl es nur kammermusikalisch ist, wirkt unsere Energie wie eine große Wucht. Ich glaube, es kommt nicht darauf an, wie viele Leute auf der Bühne stehen, sondern was für welche.“
»Davor/Danach«, ursprünglich eine Auftragsarbeit für Japan, ist eine Musical Lovestory und bei dem Titel denkt der ein oder andere sofort an »The Last Five Years«. Jason Robert Brown wurde zwar in dem Publikumsgespräch, das nach der besuchten Vorstellung stattfand, als eine Inspirationsquelle genannt, jedoch gilt das nur für die Musik des Stücks. Die Komposition ist nicht ohrwurmtauglich, sie ist ungewöhnlich und wunderschön. Sie trägt die Darsteller und das Publikum auf emotionalen Flügeln durch den Abend und unterstützt die Gefühlsebenen des Stücks. Denn um viel Gefühl und mit viel Gefühl geht es in »Davor/Danach«:
Der Künstler Ben hat nach einem Autounfall sein Gedächtnis verloren. Das erzählt er einer fremden Frau, die er auf einer besonderen Hügellandschaft trifft. Doch Ami ist darüber entsetzt, denn sie kennt Ben: Sie waren einmal ein Liebespaar. Von jetzt an wird die Geschichte der Liebe nicht chronologisch erzählt, sondern der Zuschauer erfährt durch Rückblicke und Sprünge in die Gegenwart, wie sich die beiden einst Liebenden kennen und lieben gelernt und schließlich auseinandergelebt haben, sodass es zum Bruch kam, der durch den Unfall noch härter ausfällt.
In der Gegenwart kommen die beiden wieder als Liebespaar zusammen, Ami entfacht in Ben wieder die Leidenschaft zum Malen und er steht kurz vor seiner ersten eigenen Kunstausstellung. Alles könnte besser sein als zuvor, doch Ami enthält ihm vor, welche Probleme und Herausforderungen es in ihrer früheren Beziehung gab und dass ein großer Streit das Letzte war, das beide miteinander teilten. Die Stunde der Wahrheit kommt dennoch, als Ben eine frühere Zeichnung findet. Jetzt ergibt alles Sinn, das Bild, das er aus einer Erinnerung gemalt hat, fügt sich endlich buchstäblich zusammen und füllt seine Gedankenlücken. Angelogen, verraten, verletzt verabschiedet er sich von Ami. Das Licht wird für einen kurzen Moment abgedunkelt, doch dann erscheint Ben wieder, um einen Neuanfang mit Ami zu wagen, ohne Geheimnisse, ohne Erwartungen …
Das kreative Bühnenbild von Michael Heller ist mit seinen als Puzzleteile funktionierenden bespannten Leinwänden assoziativ und passt zur Geschichte eines Künstlers. Die Leinwände sind drehbar, sodass sie mal zu weißen Wänden einer Wohnung werden, mal zu dem mit Gemälden ausgestatteten Kunstatelier. Mit farbigem Licht (Moritz Rösner und Norbert Zühlke) werden die weißen Leinwände auch mal zur Hügellandschaft. Farbe ist auch ein Mittel der Wahl, das die Zeiten »Davor« und »Danach« kennzeichnet und die Orientierung in den Zeitsprüngen erleichtert. Blau zeigt hier die Zeit vor dem Unfall und ein rötliches Licht die Gegenwart an. Zudem verdeutlichen Kostümteile und Amis zwei Frisuren die Zeitebenen. Eine Art Drehwandkonstruktion zu Beginn des Stücks symbolisiert die Reise in die Vergangenheit und weitere kreative Umzugsmöglichkeiten ermöglichen den schnellen szenischen und zeitlichen Wechsel und schaffen einen fließenden Übergang.
Unter der detaillierten Personenregie von Michael Heller werden Ami und Ben lebendig. Mit ihrem eindrücklichen Schauspiel machen Dennis Weissert und Sidonie Smith das Seelen- und Gefühlsleben der beiden Liebenden und Streitenden sichtbar und überzeugen in jeder Szene. Gesanglich meistern sie die anspruchsvolle Partitur mit ihren ausgebildeten Stimmen und scheinen regelrecht darin aufzugehen, hier mal keine Ohrwurmmelodien zu singen, sondern Note für Note zu entfalten. Sie schöpfen sicher sehr viel Spielkraft für ihre Emotionen aus der intimen Kammermusik, mit viel Gefühl von Tal Arditi an der Gitarre, Ana Luísa Pereira am Cello und Lidia Kalendareva (musikalische Leitung) am Piano dargeboten, die sie oftmals auch in Dialogen begleitet oder hinlenkt.
Die dritte Off-Musical-Produktion von OFFstage Germany begeistert mit professioneller Umsetzung, ob im darstellerischen und inszenatorischen Bereich, am Bühnenbild oder an den Instrumenten. Es mag oberflächlich gesehen nicht die spannendste Musical Story sein, doch unter der Oberfläche liegen Gefühle und das Leben. Das Spiel mit dem Künstlerdasein schafft eine besondere Ebene, öffnet Spielraum für Ideen und davon hat OFFstage Germany erneut viele schöne eingebracht und mit »Davor/Danach« einen Musicalschatz nach Deutschland gebracht.
Dies ist eine gekürzte Version des Artikels, der in der kommenden Ausgabe unserer blickpunkt musical Nr. 136 / 04-2025 erscheinen wird.