Eine Frau, eine starke Stimme und viele Emotionen: Steffi Irmen ist »Die Amme«

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»Romeo und Julia« ist zweifellos die bekannteste Tragödie aus der Feder William Shakespeares. 1597 erstmals gedruckt, wurde sie seither unzählige Male adaptiert – mal als klassisches Theaterstück, mal als moderner Film, als Ballett oder Oper. 2023 wagten sich die Komponisten und Texter Peter Plate und Ulf Leo Sommer an eine neue musikalische Interpretation des Stoffs. Am 19. März 2023 feierte ihr Musical »Romeo & Julia – Liebe ist alles« im traditionsreichen Theater des Westens in Berlin seine Uraufführung.

Eine Figur, die dabei das Publikum besonders berührte, war die der Amme, gespielt von Steffi Irmen. Mit bissigem Humor, emotionaler Tiefe und einer stimmlichen Bandbreite, die ihresgleichen sucht, eroberte sie die Herzen des Publikums im Sturm. Der Erfolg war so durchschlagend, dass im Folgejahr ein Spin-off entstand: »Die Amme – Haube richten, weiter geht‘s« als Ein-Frau-Show eröffnete dem Publikum eine neue Perspektive auf die bekannte Geschichte. Noch bevor »Romeo & Julia« am 17. April 2025 auf die Berliner Bühne zurückkehrt, feierte »Die Amme« ihre eigene glanzvolle Premiere – ein voller Erfolg. Bis zum 30. Januar 2026 ist Steffi Irmen immer freitags in dieser Solo-Performance zu sehen, während sie gleichzeitig weiterhin ihre Paraderolle in der Hauptinszenierung übernimmt. Eine Doppelbelastung, der sie mit Bravour begegnet – stimmlich wie schauspielerisch.

Die Bühne präsentiert sich bewusst reduziert: Einige Stühle, einfache Tische – mehr braucht es nicht. Der minimalistische Aufbau schafft Raum für das intensive Spiel der Protagonistin. Die wenigen Möbelstücke werden flexibel eingesetzt, dienen mal als Taverne, mal als Palast, mal als Schlafgemach oder Schauplatz intimer Gespräche.

Steffi Irmen brilliert in ihrer Darstellung. Mit einem Minimum an Requisiten erschafft sie ein Maximum an Emotion. In Sekundenschnelle wechselt sie Perspektiven, spielt Lord Capulet mit bebender Reue, Lady Capulet in der Geburtsqual, Julia in jugendlicher Verzückung und Romeo als hormongetriebenen Jüngling. Sie schreit, flüstert, singt, lacht und weint – und das Publikum ist jede Sekunde dabei.

Die Musik – live gespielt von einer fünfköpfigen Band auf einer Empore – trägt entscheidend zur Wirkung bei. Immer wieder treten sie in Interaktion mit Irmen, begleiten sie stimmlich, verstärken Spannungsbögen oder setzen bewusst Pausen, die unter die Haut gehen.

Das Libretto von Franziska Kuropka und Lukas Nimscheck ist präzise geschrieben. Es vereint Komik mit Tragik, politische Gesellschaftskritik mit persönlichem Drama. Es erzählt nicht nur die Geschichte der Amme, sondern stellt auch die Frage nach Sichtbarkeit und Geschichtsschreibung: Wer erzählt welche Geschichte – und warum?

Man lacht (oft laut), man schluckt, man denkt nach. Die Amme ist eine Mischung aus Slapstick-Comedy, feministischem Solo-Drama, satirischem Theater und musikalischem Hochgenuss. Ein Plädoyer für Empathie, für Mut zur Wahrheit – und für jene, die zu oft im Schatten stehen.

Wer »Die Amme« sieht, braucht keine Vorkenntnisse – aber wer danach »Romeo & Julia« sieht, wird es mit neuen Augen betrachten. Die beiden Stücke ergänzen einander, dramaturgisch wie emotional, und lassen ein Universum entstehen, das weit über den klassischen Shakespeare-Stoff hinausgeht.

Ein Abend voller Theatermagie, der noch lange nachhallt.

Dies ist eine gekürzte Version des Artikels, der in der kommenden Ausgabe unserer blickpunkt musical Nr. 135 / 03-2025 erscheinen wird.