Warriors
US Studio Cast 2024
Lange hat sich Lin-Manuel Miranda nach dem (zumindest im englischsprachigen Raum) sensationellen Erfolg von »Hamilton« mit einem neuen Musical Zeit gelassen. Er konzentrierte sich in den vergangenen Jahren mehr auf Hollywood (u. a. mit Songs für Disneys »Vaiana« und »Encanto« oder als Darsteller in »Mary Poppins‘ Rückkehr«). Nun legt er gemeinsam mit Co-Autorin und -Songwriterin Eisa Davis das Konzeptalbum zu ihrem neuen Werk »Warriors« vor.
Das Stück basiert auf dem Film »Die Warriors« von Walter Hill aus dem Jahr 1979 und Sol Yuricks gleichnamigem Roman. New York, Ende der 1970er Jahre: Um einen Waffenstillstand zwischen den zahlreichen Gangs der Stadt auszuhandeln, beruft Cyrus, Anführerin der Gramercy Riffs, ein Treffen aus unbewaffneten Abgesandten aller Banden ein. Auch die Frauen-Gang The Warriors erscheint zu der Versammlung in der Bronx. Als Cyrus hinterrücks von Luther, einem Mitglied der Rogues, erschossen wird, gibt dieser den Warriors die Schuld. Sie müssen daraufhin 48 Kilometer durch ganz New York fliehen, um die Sicherheit ihres Reviers auf Coney Island zu erreichen, wobei ihnen die anderen Gangs nachstellen, um Cyrus‘ Tod zu rächen.
Eine dramatische, von Gewalt erfüllte Geschichte, der Miranda und Davis aber den einen oder anderen Twist geben. So beenden sie nicht nur das Stück mit der Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden, sie haben auch aus etlichen der im Original durchweg männlichen Gangmitglieder weibliche Rollen gemacht. Das hat bei Veröffentlichung des Albums für einige Diskussionen unter Kritikern und Anhängern der Filmvorlage gesorgt – tatsächlich trägt diese dramaturgische Entscheidung aber nicht nur unserer modernen, für Diversität und Gleichberechtigung sensibleren Zeit Rechnung, sondern kommt auch den Anforderungen eines Musicals näher, wo ein ausschließlich von Männern getragenes Ensemble nicht zuletzt musikalisch recht eintönig wäre.
Was uns zur musikalischen Umsetzung bringt. Da laut Interview-Aussagen des Autoren-Duos eine Bühnenfassung derzeit nicht in Planung ist, haben wir es also mit einem klassischen Konzeptalbum in der Tradition von »The Who’s Tommy« oder »Jesus Christ Superstar« zu tun. Die insgesamt 26 Tracks erzählen die Geschichte in ihrer Gesamtheit, und dank der in den zwei (!) Booklets vollständig nebst ergänzenden Regieanweisungen abgedruckten Songtexte kann man der Handlung bestens folgen und wird in dieses Drama unweigerlich hineingezogen. Die Produktion von Davis, Miranda und Mike Elizondo geht mühelos als State-of-the-art-Hip-Hop- oder R’n’B-Album durch, während die Komplexität der zahlreichen Ensemblenummern und die eingeflochtenen Dialoge waschechtes Musicaltheater in Albumform bilden. So entsteht ein ziemlich perfekter Hybrid beider Welten. Lin-Manuel Miranda und Eisa Davis betonen, dass sie gemeinsam für Buch, Musik und Texte verantwortlich sind. Dennoch hört man Mirandas Stil deutlich heraus, manchmal wirkt »Warriors« wie »Hamilton 2«. Es ist alles da, was diesen vielseitig begabten Songwriter auszeichnet und erfolgreich gemacht hat: Die treibenden Hip-Hop-Verse mit brillant ausgeklügelten Texten, die Chöre, die mit ihren Hooklines unmittelbar in Ohr und Tanzbein gehen, die Ausflüge in Latin und Pop, garniert mit hübschen R‘n’B-Balladen und diesmal einer Prise Heavy Metal als Erkennungssound des Bösewichts. Man muss diesem Album mehrere Durchläufe geben, um es in allen (oder zumindest möglichst vielen) Facetten wertschätzen zu können. Mit jedem Hören gesellen sich neue Highlights und Lieblingstracks hinzu; ›Survive The Night‹, ›Derailed‹, ›Sick Of Runnin‘‹, ›A Light Or Somethin’‹ oder ›Same Train Home‹ sind nur einige der Titel, die man unbedingt einmal in einer vollwertigen Bühnenversion erleben möchte.
Nicht vergessen darf man die Starbesetzung, die ebenfalls die Welten von Musical und Pop vereint. Unter den zahlreichen bekannten Namen dieses Albums finden sich Broadway-Profis wie Amber Gray (Ajax), Phillipa Soo (Fox), Billy Porter (Granger) oder Joshua Henry (Wanya) neben Hip-Hop-Pionierin Lauryn Hill (Cyrus), Salsa-Star Marc Anthony (Tato) und namhaften Rappern wie Busta Rhymes (Brooklyn) oder Nas (Queens), die die New Yorker Stadtbezirke verkörpern.
Lin-Manuel Mirandas lange Musical-Pause hat sich jedenfalls gelohnt, denn mit »Warriors« meldet er sich eindrucksvoll zurück. Schön, dass er das Musicalgenre weiter mit seiner ureigenen Stimme bereichert.
Fazit: Mitreißendes Konzeptalbum, das auf eine Bühnenfassung hoffen lässt.
26 Titel
CD 1 35:25 min, CD 2 45:17 min
Doppel-CD im Jewel-Case mit zwei Booklets (32 + 36 Seiten) mit Credits und Songtexten
Songliste:
1. Survive The Night
2. Roll Call
3. Warriors’ Cypher
4. Make Way For Cyrus
5. If You Can Count
6. Derailed
7. Woodlawn Cemetery
8. Leave The Bronx Alive
9. A Track Fire And A Phone Call
10. Going Down
11. Orphan Town
12. Call Me Mercy
13. Still Breathin’
14. Quiet Girls
15. Outside Gray’s Papaya
16. Sick Of Runnin’
17. The Park At Night
18. Luther Interlude
19. Cardigans
20. We Got You
21. A Light Or Somethin’
22. We Got You (Reprise)
23. Somewhere In The City
24. Reunion Square
25. Same Train Home
26. Finale