Ohne Pause, ohne Kompromiss: »A Chorus Line« berührt in Bad Hersfeld mit emotionaler Wucht

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Die Wiederaufnahmepremiere von »A Chorus Line« bei den Festspielen in Bad Hersfeld am 11. Juli 2025 war ein emotional intensives Erlebnis und wirft einen kritischen Blick hinter die Kulissen des Showbusiness. Das Musical, geschaffen von James Kirkwood Jr. & Nicholas Dante (Buch), Marvin Hamlisch (Musik) und Edward Kleban (Lyrics), wurde in der deutschen Fassung von Robin Kulisch gezeigt. Unter der Regie und Choreografie von Melissa King erzählt es von 18 Tänzern und Tänzerinnen, die sich in einer unbarmherzigen Audition bewähren müssen – keine Pause, kein Entrinnen.

Das reduzierte Bühnenbild von Karin Fritz besteht primär aus Drehspiegeln, die nicht nur das Ensemble vervielfachen, sondern auch das Publikum reflektieren. Der Spiegel verbildlicht gesellschaftliches Urteil genauso wie Selbstreflexion, gleichzeitig vergrößert er optisch die unmittelbare Präsenz der Tänzerinnen und verstärkt ihre Geschichten. Der Regisseur Zach, hart, aber nachdenklich verkörpert von Arne Stephan, sitzt mitten im Publikum und zwingt die Zuschauer auf subtile Weise, zwischen Kandidatinnen und Juror Stellung zu beziehen – im wahrsten Sinne des Wortes. Diese Positionierung stärkt die Illusion, man wäre selbst Teil des Auswahlverfahrens.

Das Ensemble beeindruckt in seiner Geschlossenheit und Bühnenpräsenz: Anfangs als Einheit auf einer weißen Linie, offenbaren die Darstellerinnen und Darsteller nach und nach ihre Ängste, Hoffnungen, Träume und Sorgen – individuell bewegen sie durch persönliche Einblicke und danach erfolgt ein kollektives Zurück-in-die-Reihe-Treten. Alle Darsteller, die an diesem Abend auf der Bühne standen, haben ihre Soli-Momente entsprechend genutzt und zum Gelingen des Stückes beigetragen. Entsprechend zum diesem Musical sollen alle Namen gleichwertig genannt werden, ohne jemand besonders hervorzuheben: Arne Stephan, Alan Byland, Samantha Turton, Myrthes Monteiro, Benjamin Sommerfeld, Tobias Stemmer, Josephina Mackensen, Rhys George, Stefan Schmitz, Jan-Eike Majert, Anneke Brunekreeft, Janina Moser, Maria Joachimstaller, Grace Simmons, Katrin Merkl, Alessandro Ripamonti, Johan Vandamme, Kevin Reichmann, Maickel Leijenhorst, Stephen Dole, Olivia Grassner, Clara Mills-Karzel. Angetrieben von dem satten Sound des Orchesters unter der Leitung von Christoph Wohlleben entfalten sich kraftvolle Tanzszenen, deren Herzschlag permanent spürbar bleibt. Besonders die Bläser und Percussions verstärken diese Kraft. 

Doch das Spiel ohne Pause – zwei Stunden und fünfzehn Minuten ohne Unterbrechung – hat in der Mitte einige Längen. Zwischen den glanzvollen Ensembleszenen bleiben dialoglastige Passagen, in denen das Tempo nachlässt. Die abschließende Shownummer hingegen entschädigt: Glitzernde Broadway-Kostüme, Zylinder und ein maximal aufgeladenes Ensemble versprühen großen Musical-Glamour – das Publikum honorierte das mit tosendem Applaus und wohlverdienten Standing Ovations. Ein furioser Höhepunkt, der die gebündelte Energie des Ensembles zum Abschluss des Stücks noch einmal besonders zum Ausdruck bringt.

Die symbolische Spiegelanordnung, die zentrale Platzierung des Regisseurs, das minimalistische Bühnenbild und die intime Monologstruktur fügen sich zu einem intensiven Bild einer harten, repetitiven Bühnenwelt zusammen. Das Stück zeigt – ungeschönt und kompromisslos –, dass Tanzen nicht nur Lust, sondern Broterwerb ist, ein Kampf um Anerkennung, Dauerpräsenz und Identität – und dass jeder sein Päckchen trägt. Musikalisch überzeugt die Produktion durch den klassischen Broadway-Sound, unterstützt vom satten Orchesterklang.  

Es ist eine Produktion, die tangiert und mitreißt, ein musikalisches Spiegelbild von Ehrgeiz, Verletzlichkeit und Gemeinschaft, ein kraftvolles Theatererlebnis, das das Publikum in Bad Hersfeld nicht nur unterhält, sondern nachhaltig berührt. »A Chorus Line« ist ein puristischer, emotional ehrlicher Abend.