Es war ein großes Wagnis, welches die Produzenten Darko Soolfrank und Guido Schilling eingegangen sind – ein Wagnis, an dem schon verschiedene Produktions-Versuche auf der Welt gescheitert sind. Nicht nur aufgrund von vielleicht fehlenden finanziellen Mitteln, sondern auch aufgrund fehlender, junger Talente. Der Aufbau an Kinder-Darstellern, die diese Rollen tatsächlich spielen können, ist in allen Belangen intensiv – nicht nur, das Jugendschutz ein großes Thema darstellt, die Vereinbarkeit von Schule und Proben, Wünsche und Erwartungen von Elternseite – auch die Größe der Rollen, insbesondere die des Billys, verlangt ein wahrlich hohes Maß an Professionalität in allen drei Sparten – Tanz, Gesang und Schauspiel – im jungen Alter. Schon rund ein Jahr vor der Premiere 2024 wurde daher begonnen, die Kinder zu casten. Ein Unterfangen, das sich als nicht einfach erwies – die Bewerbungen nach dem ersten Aufruf waren deutlich zu wenig, um damit eine Long-Run-Produktion ausstatten zu können. Mit demselben Herzblut, das überall in dieser Produktion zu spüren ist, gingen die Produzenten mit Mitch Sebastian (Regie) dann an alle Tanzschulen in der Schweiz und wurden letztendlich fündig – viele ausdrucksstarke Tanzmädchen wurden genauso gefunden wie sehr beeindruckende Michaels und Billys. Diese Kinder werden seitdem von vielen Begleitern betreut, darunter natürlich Tanz-, Gesangs- und Schauspielcoachs, ebenso aber auch z. B. Mentaltrainer. Alles ist ein sehr ausgeklügeltes System, welches es bis dahin im deutschsprachigen Raum so nie gab und das in Zürich – mit großem Erfolg – aufgebaut wurde. Und dies alles wurde, man kann es nicht genug betonen, von einem subventionslosen Unternehmen aufgebaut. Das sich dieser Mut auf künstlerischer Seite ausgezahlt hat, wurde ja schon mit der Premiere 2024 unter Beweis gestellt. Das, was hier auf der Bühne dargeboten wird, muss den Vergleich mit London nicht scheuen und ist emotional weit berührender als die Fassung vom Broadway.
Bei der deutschsprachigen Erstaufführung spielte Moritz Fischli die Premiere, sein Billy war schon sehr beeindruckend und auf hohem Niveau. Leo Lemmerich, der auch schon in der vergangenen Spielzeit Billy spielte, durfte nun die Wiederaufnahmepremiere spielen und wow – was für ein großartiges Talent! Mit überraschend starker Stimmführung, sehr bewegendem Schauspiel und hohen Tanzkünsten lässt er die Zuschauer:innen verblüfft ob des großen Talentes, das es anscheinend für Musical in der Schweiz gibt, vor Begeisterung mehrfach sehr langanhaltend und völlig zurecht enthusiastisch applaudieren.
An seiner Seite stand Tyler Grünberg als Michael, etwas weniger bedingungslose Rampensau als Justin Périer, aber mit einer schönen Feinfühligkeit und im Zusammenspiel mit Lemmerlich sehr harmonierend. Neu in der Rolle des Vaters ist Livio Cecini, sein Vater berührt und ist durch und durch menschlich. Insbesondere die kleinen Momente, die die Rolle ausmachen und den Wandel in ihr zeigen, wurden von ihm sehr schön klar herausgearbeitet, sowohl die Verzweiflung als auch sein Stolz waren spürbar und sorgten dafür, dass der Charakter als noch besser gezeichnet wahrgenommen wurde. In der Figur der Mrs Wilkinson steht nun Gabriela Ryffel auf der Bühne, sie gehörte schon in der vergangenen Saison zu der Cast und hat nun den Sprung zur Erstbesetzung zurecht gemacht. Sie lässt etwas mehr Gefühl zu, gesanglich ist sie stark und tänzerisch absolut rollendeckend. Sabine Martin als Grandma ist dem Stück erhalten geblieben, dass sie die Rolle nun schon ein Jahr immer weiterentwickelt und perfektioniert hat, merkt man der Rollenzeichnung an, gesanglich ist sie stark und immer eine Freude zum Beobachten. Paul Elias Gierlinger als Bruder Tony überzeugt vor allem in den eher kleineren Momenten und Gesten, z. B. wenn er Billy vor den Polizisten »rettet«, zeichnet sich sein Handeln durch die Liebe des älteren Bruders und Beschützers aus. Rudi Reschke, ebenfalls ein Wiederholungstäter in der Cast, spielt in dieser Saison fest den Boxtrainer George und ist alternierender Vater. Bei der Wiederaufnahmepremiere stand er als George auf der Bühne und zeigte nicht nur sein schauspielerisches Talent und seine charismatische Stimme, sondern überzeugte auch mit seiner komödiantischen Seite als Maggie Thatcher das Publikum von sich. Als Mr Braithwaite sitzt nun Daniel Nothnagel am Klavier und er zeigt dort sein überraschendes Tanztalent mit Sinn für Comedy-Timing. Stefanie Köhm hat nun die Rolle der Mutter übernommen und singt sie mit viel Feingefühl. Aus dem Ensemble noch herausstechend ist Alex Hallas als älterer Billy, der mit seinem Tanztalent auf sich aufmerksam macht.
Regisseur Mitch Sebastian hat die Spielpause und die neuen Ensemblemitglieder genutzt und hat an einigen Stellen gefeilt und gekürzt – dies mag nicht im ersten Moment auffallen, sorgt aber dafür, dass die Show in Summe noch flüssiger erscheint. Der tosende Applaus und die sofortigen Standing Ovations am Ende der Show waren der passende Abschluss des Abends, der einmal mehr gezeigt hat, wie großartig fesselndes, emotional hoch anspruchsvolles und über alle Gewerke perfekt ausgeführtes Theater sein kann.
In der vergangenen Saison haben über 100.000 Besucher zu dem großen Erfolg und der damit verbundenen Wiederaufnahme geführt. »Billy Elliot« wurde Preisträger beim Prix Walo als beste Bühnenproduktion und ist aktuell nominiert als beste deutschsprachige Erstaufführung sowie für die beste Übersetzung beim deutschsprachigen Musical Award. Mit der Cast, mit der sie jetzt in die neue Saison gestartet sind, und mit der herzblut-erfüllten Crew im Hintergrund können eigentlich nur weitere Erfolgsmeldungen folgen. Zu wünschen wäre dies ihnen allen auf jeden Fall!
Im Zuge der Wiederaufnahmepremiere durften wir auch einige Interviews führen und einen Blick hinter die Kulissen werfen – all dies veröffentlichen wir in den kommenden Tagen.

