»Miss Merkel – Mord in der Uckermark« in der Komödie am Kurfürstendamm im Ernst-Reuter-Saal

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Was tut eine Ex – (darauf legt sie Wert) Bundeskanzlerin im Ruhestand? Dieser Frage widmet sich Kriminalroman-Autor David Safier in seiner Miss-Merkel-Reihe, die es bis dato auf fünf Bände gebracht hat und sich so großer Popularität erfreut, dass nicht nur RTL daraus eine Fernsehserie gemacht hat (mit Katharina Thalbach als Angela Merkel), sondern die erfahrenen Bearbeiter Florian Battermann und Jan Bodinus den ersten Roman, »Mord in der Uckermark«, ein Theaterstück aus dem Krimi machten. Diese Komödie wiederum machten Martin WoelfferThomas PigorTobias Bonn und Christoph Marti zu einer Musikrevue oder fast schon zu einem echten Musical, mit Songs von Thomas Pigor, die dieser zusammen mit Johannes Roloff in einem bunten Stilmix von Walzer und Tango über Rap bis zur großen Ensemblenummer vertonte.

Die Komödie am Kurfürstendamm, die während des Neubaus des Stammhauses am Ku’damm zunächst im Schillertheater und dann im Theater am Potsdamer Platz interimsweise unterkam, spielt inzwischen im Ernst-Reuter-Saal im Rathaus Reinickendorf. Der unverfälscht erhaltene 50er-Jahre-Charme der Spielstätte (sie wurde 1957 als Konzertsaal eröffnet und baulich so gut wie nicht verändert) passte hervorragend zu der Komödie über die Rentnerin im (Un-)Ruhestand in der doch etwas verschlafenen Uckermark.

Die Leser, die den Krimi gelesen haben, bemerkten natürlich, dass die Handlung im Vergleich zum Buch etwas vereinfacht war. Das ist dem Genre geschuldet – man muss auf der Bühne straffen, und im Großen und Ganzen war die Bühnenhandlung gelungen und dem Geist des Romans treu. rassistische Obstverkäuferin ist nicht wie im Buch AfD-Funktionärin, sondern »nur« Reichsbäuerin, was das Ganze etwas entschärft: Insbesondere wenn man die Statements von Regisseur Martin Woelffer im Vorfeld zur Kenntnis genommen hat, wo er z. B. im rbb betonte: »Es ist ein bisschen diese Gratwanderung, die wir versuchen. Dass es natürlich leicht sein muss und unterhaltend, aber gleichzeitig können wir und nicht dem verschließen, was überall für Stimmen sind, und ja, ich glaube, was Theater machen kann, ist, das dann aufzuzeigen und gleichzeitig eine Haltung dazu zu haben.« Vor diesem Hintergrund ist es schade, dass man diese Figur entschärft hat und ihr am Ende sogar einen versöhnlichen Abgang gönnt, indem sie mit dem Kommissar beschließt, nach Ungarn auszuwandern. In Sachen »Haltung« hätte man da klarer bei der deutlichen AfD-Kritik der Vorlage bleiben können und vielleicht sogar sollen.

Dieser Kritikpunkt soll allerdings dem Vergnügen an dem Abend keinen allzu großen Abbruch tun, denn er schaffte etwas, was im Theater gar nicht so häufig gelingt: Dass man sich amüsiert, sich ein bisschen intellektuell herausgefordert fühlt durch verschiedene politische Anspielungen, Spaß hat an den hervorragenden Darsteller:innen und schließlich fröhlich nach Hause geht. Dafür ein Kompliment!

Den größten Anteil an diesem positiven Erlebnis haben naturgemäß die Darsteller. Gerade bei einer Produktion, die Location-bedingt nicht mit großem Aufwand punkten kann (das zweckdienliche Bühnenbild von Tilmann von Blomberg mit einem gemalten Schloss sowie Treppen für die Auf- und Abgänge und Kisten, die hereingeschoben werden und wahlweise einen Obststand oder eine Bahre in der Pathologie darstellen können) ‒ der ehemalige Konzertsaal verfügt sicher nicht über eine komplett ausgefeilte Bühnentechnik ‒, spielen die Charaktere eine zentrale Rolle. Allen voran natürlich die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel selber, die in der oberflächlich friedlichen Uckermark ein geruhsames Rentnerdasein führen will, in dem der tägliche Kuchen, den sie bäckt, einer der Höhepunkte ist, die sich aber insgeheim dann doch wieder etwas langweilt. Christoph Marti brilliert in dieser Rolle (die sicher einmal eine Paraderolle für ältere Musicaldarstellerinnen werden wird). Er stellt die ehemalige Kanzlerin sehr liebevoll und an der Realität des Bildes, das wir alle von ihr im Kopf haben, dar. Seine Angela Merkel ist bei allen kleinen Schrullen klar die Heldin des Stücks und darf auch einmal ein paar kleinere politische Bosheiten verteilen (»Feinde? Ich hatte Parteifreunde!«), und ihren berühmten Blazern in allen Farben des Regenbogens ist sogar ein sehr amüsanter Song gewidmet: » Drum hab‘ ich einen blauen Blazer, und einen roten Blazer. Ich hab’n grauen und ich hab’n abricot’n Blazer. Damit vermeide ich das leidige Thema. Und außerdem sind meine Blazer viel bequemer«, denn »Sitzt im Kanzleramt eine Frau, geht die Berichterstattung schnell in Richtung Modenschau«. So wie hier gelingt es Thomas Roloff oft, in seinen Liedtexten Heiteres mit leiser Gesellschaftskritik zu verbinden. So wie im Lied von Angelas Ehemann Joachim Sauer, von Christoph Martis Ehemann im echten Leben, Tobias Bonn, mit leichter Zerstreuter-Professor-Attitüde, der seiner Frau immer den Rücken freihielt und -hält, der in seinem wunderbar ironischen Song ›Ich war der Mann im Damenprogramm‹ mal eben erwähnt »Sie hat jahrzehntelang Friedrich Merz kaltgestellt« ‒ an welcher Stelle es an diesem Abend Gelächter und sogar ein bisschen Zwischenapplaus gab. Man merkt Marti und Bonn die große Vertrautheit miteinander an, nicht nur in der Tanzszene beim Walzer. Sie sind ein eingespieltes und durch und durch liebenswertes Paar auf der Bühne.

Fast alle anderen Darsteller:innen sind in mehreren Rollen zu erleben. Winnie Böwe spielt nicht nur die rechtsradikale Obstverkäuferin Angela Kessler, sondern auch die immer leicht angeheiterte Freifrau Alexa von Baugenwitz, die zunächst ihren Ehemann Philipp durch einen angenommenen Selbstmord (der natürlich keiner ist) verliert, dann eine heiße Affäre mit einem reichen Texaner hat und schließlich selbst zum Mordopfer wird. In all diesen Facetten überzeugt sie mit treffender, nie übertriebener Komik. Max Gertsch, Ur-Mitglied der Geschwister-Pfister-Formation mit Marti und Bonn, verführt das Publikum ebenfalls zum Lachen – zunächst als Freiherr Philipp von Baugenwitz in der Ritterrüstung seines Ahnen Balduin, dann als überarbeiteter, ewig abgenervter und leicht sexistischer Kommissar Hannemann und schließlich als der heiße texanische Lover der Witwe. Auch das vierte Gründungsmitglied der Geschwister Pfister, Lilian Naef, war mit von der Partie: Als Katharina von Baugenwitz, betrogene und abservierte Exfrau des Freiherrn, die immer noch auf dem Schloss arbeitet, was zu weiteren Komplikationen führt und sie zu einer der Topverdächtigen in den Mordfällen macht, bringt sie trockenen Witz und eine gewisse adlige Überheblichkeit in die Rolle ein.

Die weiteren Verdächtigen sind Marie Horstmann, die große Sympathien beim Publikum sammelt. Dasselbe gilt für ihren Verehrer, Angela Merkels Bodyguard Mike (Matthias Britschgi). Seine physischen Fähigkeiten beim Sprung auf den Tisch beeindruckten seine angebetete Polizistin genauso wie das Publikum ‒ auch hier gab es Szenenapplaus.

Schließlich gibt es als letzte Verdächtige noch Pia von Baugenwitz, die eigentlich nur an ihrem Social-Media-Account und ihren Followern interessiert zu sein scheint und als solche einfach unsympathisch ist ‒ was ausdrücklich nicht heißt, dass Nachwuchsschauspielerin Ida Dobrenz keinen guten Job gemacht hätte, ganz im Gegenteil: Genauso stellt man sich eine nervende Influencerin vor.

Wer am Ende für die Morde verantwortlich war, sei hier nicht verraten. Stattdessen gibt es noch ein Lob für die geschickten Choreografien von Mariana Souza und Kathleen Bauer, die in allen Stilen sattelfest waren, und die sehr gelungenen Kostüme von Sandra Klaus sowie die Maske von Astrid Schill, die die Kanzlerin lebendig machten. Für einen netten Abend mit überraschend intelligentem Humor sein dieses Musical wärmstens empfohlen!



Dies ist eine gekürzte Version des Artikels, der in der kommenden Ausgabe 06-2025 erscheinen wird.