Klassiker prächtig entstaubt! »A Chorus Line« am F1rst Stage Theater Hamburg

Foto: Dennis Mundkowski

Es war ein besonderer Musicalabend, der das Genre als solches vor, neben und hinter der Bühne schonungslos zeigt und die Gedanken und zwischenmenschlichen Verstrickungen dazu lebendig macht.
Die Produktion empfängt die Zuschauer mit einer offenen Bühne und einem typischen Casting-Theatersaal, in dem die Akteure mit ihrem »Warm-Up« beschäftigt sind.
Star-Regisseur Zach (Benjamin Plautz) hat zum Casting eingeladen und alle möchten Teil seiner neuen Erfolgsproduktion werden, darunter auch seine Exfreundin Cassie (Natascha C. Hill). Zach hat wenig Erbarmen und treibt die große Cast, die aus Schülerinnen und Schülern der Stage School Hamburg sowie sehr gut ausgewählten Gästen besteht, in die vielseitigen und sehr stimmigen Choreographien von Till Nau, der auch Regie geführt hat. Unterstützung für die anspruchsvollen und flotten Nummern mit teilweise sehr schnellen Übergängen lieferte Choreographie-Assistenz Saskia Kiselowa. Es macht großen Spaß, das Uhrwerk, welches hier perfekt ineinander greift, zu beobachten!

Foto: Dennis Mundkowski

Benjamin Plautz spielt den hölzernen Regisseur Zach sehr glaubwürdig und hält die Show in einer guten Schwingung. Schließlich entlockt er den Darstellerinnen und Darstellern ihre intimsten Geheimnisse und »A Chorus Line« zeigt den schonungslosen Casting-Alltag am Theater und bei Auditions generell. Diesmal reicht tanzen allein nicht aus, nein, der Regisseur will wissen, mit wem er da arbeitet. Eine der Tänzerinnen kennt Zach besser, als es ihm in der Situation lieb ist: Die starke Cassie (Natascha C. Hill) sorgt für Irritationen, denn er hat sie damals herausgeholt aus dem Chorus und zum Star gemacht. Sie hatten eine Affäre, aber dann kämpfte sie um berufliche Fortschritte und will nun einfach nur wieder einen Job und das machen, was sie liebt – TANZEN! (›Musik und ein Spiegel‹)
Tanzen wollen sie alle – sie tanzen um ihr Leben und teilen dabei teils verschmitzt, teils schonungslos ehrlich ihre intimsten Geheimnisse mit. Eigentlich sind sie deshalb schon alle »kleine Stars«, aber einige sind besonders zu erwähnen: So haben wir hier Paul (Lukas Poischberg) der von üblen Jobs in Travestieläden und von dem Bruch mit seinen Eltern erzählt (stark gespielt und auf den Punkt getanzt!). Oder Connie (Abby Cheng), die ihre Größe anspricht (sehr witzig hippelig gespielt), Sheila (Judith Urban), die ihre sexy Note wunderbar durchzieht und dabei die alternde Darstellerin spielt, die nicht mehr viele Jahre wird tanzen können. Larry (Leonard Lechner) unterstützt Zach und mimt den strengen Choreographen. Weitere Darsteller, die stark in Gedächtnis bleiben, sind Mike (Sanny J. Roumimper), Richie (Reginald Holden Jennings), Mark (Vincent Treftz), die über Sexualität und wilde Storys referierenden Greg (Kevin Gordon Valentine) und Bobby (Maximilian Vogel), Val (Elisabeth Bengs) und AL (Torben Bach) sowie Rike Wischhöfer als Judy und Melina Hendel als Tricia und ganz besonders Anna Talimaa, die in ihrer Rolle als Diana Moralez und ihrem Song ›Gar nichts‹ glänzt.

Foto: Dennis Mundkowski

Das Bühnenbild von Felix Wienburger ist praktisch und vielseitig und die Kostüme von Robby Wörsing sind fein ausgewählt und auch die verschiedenen Tanzoutfits sind schön unterschiedlich gestaltet. Glitzernd, aber im Gegensatz zu früher jetzt noch moderner funkelnd kommt dann das weltbekannte Finale mit den Goldhüten und Funkelfracks daher – das F1rst Stage Theater setzt das Ganze in beeindruckendes Licht, mit fahrenden Lichtrahmen und gut eingesetzten Pyroeffekten. Frisuren und Maske von Klara Riefenstahl kommen genauso passend daher. Das Sounddesign von Sebastian Rieß klingt wohlig ausgepegelt und man versteht vor allem jedes Wort! Die musikalische Leitung von Johannes Hierkulisch sorgt für Hörgenuss und das mit nur drei Musikern; hier hat Felix Löwy als Musical Director sehr gute Arbeit geleistet und das Ergebnis kann sich wirklich hören lassen.
Im weiteren Verlauf stellt Zech die Frage: »Was willst Du machen, wenn Du das, was Du liebst, nicht mehr machen kannst?«
Eine Fragestellung, die sich vielleicht jeder einmal stellen sollte. Und nicht die einzige, mit der das Stück zum Nachdenken anregt.


Noch bis Oktober 2024 kann man in die Scheinwelt des Glitzers und Glamours eintauchen und hinter die Kulissen dieser blicken, sich inspirieren und begeistern lassen. Und dies alles auf höchstem Niveau. Tickets und weitere Informationen: 
https://firststagehamburg.de/produktion/a-chorus-line/

 

Die ausführliche Kritik zu diesem Stück erscheint in der Ausgabe 130 / 04_2024.

Foto: Dennis Mundkowski