Als dritte Oper, die von Frank Nimsgern mit neuer Musik interpretiert wurde, ging »Seele für Seele – Das Musical« nun als Uraufführung ins Rennen. Erstmals kam es hierbei auch zu einer Kooperation zwischen dem Festspielhaus Neuschwanstein und der Luisenburg-Festspielen Wunsiedel. Die Uraufführung selbst fand im Festspielhaus statt; wie sich das Stück verändert, bis es dann auf der Felsenbühne mit den Open-Air-Bedingungen gespielt wird, wird sehr spannend und man kann fast davon ausgehen, dass die Vorstellung dort noch einmal als völlig eigenständige Premiere gewertet werden kann und der Lauf jetzt in Füssen als quasi Tryout gesehen wird. So würde noch Zeit bleiben, um am Buch zu arbeiten und vielleicht die eine oder andere Sache verständlicher zu machen.
Birgit Simmler, die hierfür verantwortlich zeichnet, hat ohne Frage sehr viel Hintergrundwissen, insbesondere zu biblischen Kontexten, eingebracht. Die Thematik der Oper ist dabei völlig in den Hintergrund geraten und wurde sehr frei völlig neu interpretiert. Herausgekommen ist die Geschichte von Karin (bezaubernd gespielt und wunderschön gesungen von Anna-Sophie Weidinger) und Abel (ebenfalls mit sehr starker Stimme überzeugend Manuel Karadeniz). Der Zuschauer lernt die beiden gleich als Liebespaar kennen, entdeckt dann aber schnell, dass sie eigentlich auch so etwas ähnliches wie Bruder und Schwester füreinander sind – Karins Mutter Eva (Femke Soetenga, gewohnt ausdrucksvoll und stimmgewaltig) hat Abel anscheinend als Kind zu sich genommen. Nachdem sie Adam (Mischa Mang mit der für ihn typisch-charismatischen Stimme) verlassen hat, musste sie sich allein darum bemühen, genug Geld zu haben, um sich und die Kinder durchzubekommen. Dieses Geld hat sie mit einer Achterbahn auf einem Jahrmarkt verdient – nun, da Karin alt genug ist und hoffentlich die letzte offene Rate getilgt werden kann, möchte sie ihr diese Attraktion übertragen. Abel, der noch kurz zuvor um Karins Hand angehalten hat, zeigt sich entrüstet. Ganz offensichtlich ist seine Liebe zu ihr nicht so stark, dass er hinnehmen könnte oder würde, dass sie als leibliche Tochter die einzige Erbin ist. Er löst die Verlobung, Karin versucht sie zu retten und bittet ihre Mutter, doch beide zu berücksichtigen. Entgegen ihrer Überzeugung erfüllt die Mutter ihr diesen Wunsch, was dazu führt, dass Karin und Abel zunächst froher Hoffnung ob ihrer Liebe sind. Allerdings erfährt diese parallel eine neue Prüfung – ebenfalls auf dem Jahrmarkt befindet sich »Seele für Seele«, eine hochmystische Show, bei der es wirkt, als würde einer der drei Schausteller sich erschießen lassen. Die Kugel, die ihn trifft, wird allerdings umgelenkt und kurze Zeit später stirbt immer jemand anderes. Bei den drei Schaustellern handelt es sich um Sam (perfekt gecastet Dante Sáenz), Lilly (mit viel Sexappeal und warmer Stimme Anja Backus) und Maëstra (AMY, die die Zuschauer als Concierge gekonnt um den Finger wickelt). Karin und Sam begegnen sich und die Anziehung zwischen ihnen lässt sich nicht leugnen.
Der erste Akt hinterlässt leider sehr viele fragende Gesichter, während es der zweite Akt versteht, durch die Dichte der Szenen fast schon wie ein Krimi voranzugehen und in Sam eine starke Hauptfigur zu etablieren. Insbesondere das Finale ist dann gelungen und man ist gewillt, für diesen Moment die vorangegangenen Fragezeichen zu vergessen und sich dem Geschehen hinzugeben.
Der positive Gesamteindruck des Abends ist vor allem auch der Musik von Frank Nimsgern zu verdanken. Ihm ist es gelungen, einen wirklich feinfühligen Mix von sehr klassischer Instrumentalisierung mit dem für ihn so typischen E-Gitarren-Sound zu verbinden. Die Melodie von ›Seele für Seele‹ zieht sich als bindendes Element durch das gesamte Stück, welches mit großen Momenten für die Sänger gespickt ist (welche diese gekonnt zu nutzen wissen).
Was ebenfalls in den Bann zieht, sind die Kostüme und das Bühnenbild von José Luna sowie das Maskenbild von Sebastian Weber. Sie haben etwas ganz anderes auf die Bühne gezaubert, als man es bei dem Stoff und Stück erwarten würde, aber es ist so sehr aus einem Guss und lässt immer wieder neues entdecken, dass es eine Freude für die Augen ist. Seien es die Masken der anderen Jahrmarktbesucher oder die Kleidung der Tänzer, ebenso wie die »Bäume« in der Wolfsschlucht – hier ist echtes Kunsthandwerk im Spiel. Unterstrichen wird dies vom Lichtdesign (Andi Hönig).
Die Auswahl der Darsteller ist durch die Bank gelungen, egal ob die oben schon genannten Hauptcharaktere oder auch die Ensemblerollen und Tänzer – hier wurde ausgesprochen gut gecastet und Wert auf Qualität gelegt. Auch dies ist etwas, was bei dem Premierenpublikum mit großer Freude wahrgenommen und mit frenetischem Applaus bedacht wurde. Birgit Simmler in ihrer Doppelfunktion als Autorin und Regisseurin zeigt auf, dass sie von den Figuren eine ganz klare Vorstellung hatte. Diese haben sie und Co-Regisseur Tim Zimmermann feinfühlig mit den Darstellern ausgearbeitet, was sicher einen großen Teil der hervorragenden Leistung aller Mitwirkenden ausmacht. Stefanie Gröning und Selina Kohl zeichnen für die Choreografien verantwortlich und diese haben durchaus beeindruckende Momente, wie in der oben schon genannten Wolfsschlucht-Szene, die tänzerisch schön ausgearbeitet wurde.
Dieses Stück ist jenseits von verstaubt oder altbacken, optisch wirkt es fast wie Pop-Art-Kunstwerk mit Manfred-Deix-Anleihen, welches immer Neues und Anderes entdecken lässt. Vielleicht wäre es gut gewesen, sich an irgendeinem Punkt der Entwicklung von dem Titel »Freischütz« gänzlich zu trennen, denn völlig unnötig weckt dies Erwartungen. Wer ohne diese in das Theater geht und sich einfach auf das Erlebnis einlässt, was einem ohne Zweifel geboten wird, kann sich von einem großartigen Ensemble und großer Musik verzaubern lassen und erlebt einen außergewöhnlichen Abend.
Tickets und weitere Information für die Spielzeit im Festspielhaus Neuschwanstein: Freischütz – Das Musical – Festspielhaus Neuschwanstein
Tickets und weitere Informationen für die Luisenburg-Festspiele Wunsiedel:
DER FREISCHÜTZ | Luisenburg-Festspiele Wunsiedel
Dies ist eine gekürzte Version des Artikels, der in der kommenden Ausgabe unserer blickpunkt musical Nr. 135 / 03-2025 erscheinen wird.