Eine Fülle an Text, eine Fülle an Liedern. Und eine unglaubliche Bandbreite an Emotionen.

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Foto: Marcel Kaupp

 

blickpunkt musical: Frau dos Santos – gerade wurden Sie mit dem deutschsprachigen Musical Award ausgezeichnet worden – wie geht es Ihnen jetzt?

Celina dos Santos: Ich wusste nicht, was mich bei der Preisverleihung erwartet. Es war ein echt super netter Abend, so ein richtiger Gemeinschaftsabend. Ich war auch überrascht über viele Reden, muss ich sagen. Es waren wahnsinnig wichtige Sachen dabei, die dort gesagt worden sind. Wir haben eben nochmal darüber gesprochen – Hartmut Holm Forche, der für die Übersetzung ausgezeichnet wurde – das war eine richtig gute Rede und es ist so wichtig, dass es diese Kategorie jetzt gibt.

Mats Visser: Und die Vielseitigkeit der Stücke zu sehen. Die vielen kleineren und größeren Produktionen, die zu Gast waren – das war wirklich cool. Die Mischung aus Acts und Laudatien, das war alles sehr gelungen.

blimu: Im Grunde ist es jetzt die Auszeichnung für Sie für diese Rolle das Einleiten eines schönen Spielzeitbogens – in ein paar Tagen ist die Derniere von »Ku´damm 59«. Aber Sie bleiben in Berlin, Sie bleiben sogar im selben Haus.

CdS: Das ist wirklich ein Glück. Das kann ich nicht anders sagen – es ist ja nicht üblich, dass man sich in unserem Beruf irgendwo so lang einleben kann. Und das ich am Theater des Westens bleiben darf – das ist einfach nur schön, ich liebe dieses Haus! Aber ja, es ist mega krass, dass Ku´damm jetzt plötzlich, nach so einer langen Zeit, endet. Wir hatten eine so tolle Cast, wir haben uns alle immer und jederzeit so sehr unterstützt. Das ist nicht selbstverständlich und das weiß man vorher nie. Darum werde ich jetzt tatsächlich auch traurig, am schlimmsten wird es aber sicher am allerletzten Wochenende.

[…]

blimu: Wie gut kennen Sie »Romeo & Julia« schon?

CdS: Ich kenne natürlich die Musik, ich habe es auch einmal gesehen. Aber ich glaube, dass ich vor allem naiv an das neue Abenteuer herangehe. Ich freue mich total, daraus etwas ganz Eigenes zu machen. Darum glaube ich, dass naiv da das beste Wort ist. Bei einem Revival kann es ja alles sein – dass man sehr nah am Original bleibt genauso wie – das man ganz neu daran geht, Szenen umstellt, Sachen hinzufügt etc. Und darum bin ich jetzt einfach sehr freudig gespannt, was mich erwartet.

blimu: Auf jeden Fall haben Sie einen Romeo zur Seite gestellt bekommen, der genauso wie Sie auch ein Preisträger ist (2024 erhielt Mats Visser den Thomas-Siedhoff-Preis, die weltweit einzige Auszeichnung für Musical Nachwuchs überhaupt, Anm.d.Red.). Aber nicht nur dass – es ist auch Ihre erste Großproduktion nach der Ausbildung und obendrauf die Hauptrolle in eben dieser. Wie fühlt sich das an?

MV: Es ist unglaublich spannend und aufregend. Auf der einen Seite freue ich mich total auf das Haus. Gerade jetzt, nachdem Celina auch so positiv darüber gesprochen hat, wie toll die Zeit in dem Theater und mit den Menschen dort ist. Auf der anderen Seite ist die Aufgabe, so eine große Rolle zu übernehmen und zu kreieren, auch wahnsinnig herausfordernd. Romeo ist wirklich fast immer auf der Bühne, gerade im ersten Akt. Er hat eine Fülle an Text, eine Fülle an Liedern. Und eine unglaubliche Bandbreite an Emotionen. Diese Begeisterung, die Ekstase am Anfang bis zum Drama wenn es endet – das ist wirklich eine Herausforderung. Und es ist auch eine Herausforderung, dass man da auf sich selbst aufpasst und genau einschätzen sollte, wie viel man an jedem Tag geben kann und muss, damit man auch über die ganze Spielzeit die Spannung aufrechterhält und die Geschichte für das Publikum immer gleich gut erzählt. Es ist eine große, aber auch eine sehr schöne Aufgabe und ich bin mir der Verantwortung sehr bewusst. Und ich bin auch sehr froh, jetzt eine Partnerin an meiner Seite zu haben, die sich in diesem Haus schon gut auskennt. Das ist für mich ja Luxus, dass sie mir alles zeigen kann.

blimu: Haben Sie sich vorher schon gekannt?

CdS: Nein, wir haben uns in den Auditions kennengelernt.

MV: Wenn es bei den Auditions Richtung Entscheidung geht, gibt es ja oft den Moment, bei dem verschiedene Paare miteinander kombiniert, also Paarkonstellationen ausprobiert werden. Da haben wir dann das erste Mal miteinander gesungen. Da hat es dann offensichtlich gematcht.

blimu: Gab es da schon das Gefühl, dass es geklappt hat?

MV: Bei mir war es ja eines der ersten großen Castings für eine En-Suite-Produktion und es war für mich alles furchtbar aufregend. Die ersten zwei Runden waren noch ganz normal. Als das Team dann nachgefragt hat, ob ich noch einmal kommen könnte, kam der Gedanke, dass ich jetzt eine echte Chance auf diese Rolle habe. Aber genauso hätte es auch nichts werden können. Die Eigenwahrnehmung in Auditions trügt ja manchmal. Je weiter ich gekommen bin, desto realer fühlte es sich an. Es war wirklich durchgehend eine Achterbahnfahrt.

CdS: Bei mir war es tatsächlich auch der Moment, wo Mats und ich das erste Mal miteinander gesungen haben. Da dachte ich, dass es wirklich funktionieren könnte, dass das genau das ist, was die Produzenten wollen.

blimu: Die Texte sind ja in der Originalübersetzung, quasi Altdeutsch. Wie geht es Ihnen damit? Es ist ja doch zum Sprechen was ganz anderes, als jetzt die normale, lebendige Sprache, in der wir jetzt miteinander sprechen und die eigentlich auch auf den Bühnen gesprochen wird.

CdS: Ich finde es supercool. Es ist für mich ein gutes Tool. Ich bin manchmal eine schnell sprechende und auch manche Sachen verhuschelnde Darstellerin. Und das, glaube ich, ist ein richtig gutes Muster für mich. Ich habe wahnsinnig Lust darauf, dass auch so ein bisschen aufzubrechen und mal zu gucken, was kann man da rausholen und was steckt da drin.

MV: Also ich finde diese Kombi supercool, dass es wirklich diese Dialoge gibt, die in dieser alten Sprache sind und dann aber die modernen Songs, die einen vielleicht auch immer mal kurz aufatmen und das Ganze, was man gerade szenisch gehört hat, verarbeiten lassen. Ich finde es sehr, sehr wichtig, diese Texte ernsthaft zu behandeln und dass man sie auch technisch ernst nimmt, sprich schauspielerisch schaut, wie gehe ich wirklich mit diesen Texten um? Um dann irgendwann das Ziel zu haben, diese Texte so frei zu sprechen, als wäre das unsere normale Sprache, als würden wir ganz normal so reden, frei von der Leber weg. Dass sie sich anfühlen wie die Songs. Diese sind nämlich so nahbar, sie gehen sofort ins Herz – während bei den Sprechtexten vielleicht noch eine Barriere ist. Aber es ist genau unser Job, diese Barriere aus dem Weg zu schaffen und die Geschichte zu erzählen.

[…]

blimu: Die Produktionen von Plate und Sommer sind ja immer sehr Fan-involvierend und ich glaube, dass dahinter auch ein großer Teil des Erfolgs liegt. Es gab im Anschluss auch noch ein Karaoke-Singen mit Marcella Rockefeller, was dieses Gefühl von Gemeinschaft dann noch weitergeführt hat. Wo noch einige Stunden lang Menschen miteinander schöne, verbindende Moment kreiert haben. Sie vermitteln, dass Sie die Zuschauer wirklich mit einbeziehen wollen, sie als Teil des Ganzen sehen, nicht nur einfach eine Show für sie machen. Das macht viel mit dem, wie man dann hinterher aus einem Theater raus geht.

CdS: Ja, und sowohl bei »Ku´damm« als auch bei »Romeo & Julia« werden ja schwierige Themen angesprochen, völlig egal, ob das Stück vor 400 oder vor 60 Jahren spielt. Wir sprechen hier von Selbstmord, oder auch Frauenunterdrückung und homosexuellen Verfolgung. Und gerade jetzt, in der heutigen Zeit, wo jeder das Gefühl hat, dass wir an einer Grenze stehen, an der es kippen könnte, ist es so wichtig, dafür ein Bewusstsein zu schaffen. Vor knapp zwei Wochen kam es zu einem Zwischenruf in der Szene, in der wir den Hasen beerdigen. Freddy erzählt, wie sie als Juden verfolgt wurden – das ist eine sehr intensive Szene und auf einmal gab es einen Zwischenruf: »Es fing an, wie es jetzt gerade anfängt!« Matthias Reiser und ich haben sofort in dem Moment angefangen zu weinen, es war auf einmal so viel Angst zu spüren im Raum. Ich möchte niemanden auffordern, seine Meinung im Theater laut herauszurufen und ich war auch kurz überfordert in dem Moment. Aber ich habe mir dann gedacht, dass es das ist, was Theater sein muss. Es muss aufwecken, aufrütteln. Wir haben die Menschen dann wieder gut einfangen können, aber dieser Zwischenruf, dieser Appell dieser Frau, hat mir noch einmal bewusst gemacht, wie groß unsere Verantwortung ist. Wie wichtig es ist, an das Haus in der Liebmichallee zu glauben und alles dafür einzusetzen, dass es zumindest in den ein oder anderen Zügen Wirklichkeit wird. Kunst und Kultur muss genau das. Nicht mit warnendem Zeigefinger, aber doch aufzeigen, was passiert, was wieder sein könnte.

MV: Nicht mit dem warnenden, aber mit dem mutigen Zeigefinger!

CdS: Genau. Und nicht einfach nur zeigen, dass etwas schlecht läuft. Sondern auch aufzeigen, wie es anders sein könnte.

blimu: Kultur ist das, was Menschen verbindet. Dass die Politik hier drin immer weniger Wert sieht, ist in meinen Augen das Schlimmste, was passieren kann. Kultur verbindet, fernab von geographischer und sozialer Herkunft. Sie transportiert Gefühle, die durch nichts anderes besser transportiert werden könnten. Sie kann Dinge aufzeigen, die für die Entwicklung des Landes und der Werte, die es einem Staat geben sollte, unablässig sind. Daran zu sparen ist fatal.

CdS: Ja, genau. Als ich in diese Branche eingestiegen bin, gab es schon ganz viele Baustellen, aber es hat nicht so gebrannt. Es war ein großes Privileg, quasi nur Unterhaltung zu machen, ohne über Politik nachzudenken oder sich zu positionieren. Es war ein Luxus, den wir zurzeit nicht haben. Jetzt müssen wir laut werden, mit allen Stimmen und Möglichkeiten, die wir haben.

 

 

Wir hatten die große Freude, Celina dos Santos und Mats Visser im Rahmen der Musical Award Gala in München zu interviewen. Für die kommende Probenzeit wünschen wir ihnen und allen Beteiligten viel Erfolg!

Weitere Informationen zu »Romeo & Julia« sowie Tickets: Romeo und Julia – Das zeitlose Liebesdrama als Musical in Berlin

Das Interview in ganzer Länge finden Sie in der kommenden Ausgabe der blickpunkt musical 02-2025 / Nr. 134.