CD des Monats: April 2024 - Blickpunkt Musical

Merrily We Roll Along

Broadway Revival Cast 2023

Lange galt dieses Sondheim-Musical, dessen Original-Produktion am Broadway 1981 legendär mit nur 16 Aufführungen floppte, als nicht zu retten: Das Buch von George Furth stand in dem Ruf, zu kompliziert zu sein, die Charaktere seien nicht liebenswert und böten kein Identifikationspotenzial, und dann war da ja noch die Tatsache, dass die Handlung nicht chronologisch abläuft. Wir begegnen Franklin Shepard auf dem Höhepunkt seiner Karriere als erfolgreicher Songwriter und Filmproduzent. Um dahin zu kommen, musste er Opfer bringen – dazu gehört auch die Beziehung zu seinen einst besten Freunden Charley Kringas, mit dem er früher Musicals schrieb, und der Autorin Mary Flynn. Wie es zur aktuellen Situation gekommen ist, welche Stationen die Freundschaft des Trios durchgemacht hat, erzählt die Show rückwärts, endend mit drei hoffnungsvollen, optimistischen, enthusiastischen jungen Künstler*innen auf einem Dach unter dem New Yorker Nachthimmel.

Während das Libretto als schwierig galt, wurde Stephen Sondheims Partitur immer schon als eine seiner zugänglichsten geschätzt. Dass sie tatsächlich ein Opus Magnum seines beeindruckenden Portfolios darstellt, mit einer Fülle an Hits wie dem Titelsong, ›Our time‹, ›Good thing going‹, ›Not a day goes by‹, ›Old friends‹, ›Growing up‹, ›Opening doors‹ u.a., unterstreicht nun die Castaufnahme zum aktuellen Revival. Die Inszenierung von Maria Friedman, ursprünglich 2012 in der Londoner Menier Chocolate Factory entwickelt und im vergangenen Jahr endlich auch am Broadway angekommen (wo das Stück erstmals seit 1981 zu sehen ist), erntete Jubel und Lob. Viele Kritiker waren sich einig, dass es die erste Version war, in der das Musical funktioniere – was, neben dem Fokus der Regie auf die Gefühle und Motivationen der Figuren sowie das zentrale Thema Freundschaft, primär den Leistungen des Hauptdarsteller-Trios zugeschrieben wurde.

Und dieses haucht, wie das vorliegende Album beweist, dem Stück tatsächlich ordentlich frischen Wind ein. Jonathan Groff (»Spring Awakening«, »Hamilton«) gelingt es, den schwierigen Charakter von Frank nicht einfach nur als über Leichen gehenden Karrieristen zu portraitieren, sondern ihm Tiefe und Menschlichkeit zu verleihen. Sein ›Growing up‹ ist bewegend; gegen Ende lässt er den Idealisten durchscheinen, als der er seine persönliche Reise einst begann. Bei Lindsay Mendez (die für »Carousel« einen Tony Award gewann) sind alle Facetten von Mary Flynn bestens aufgehoben, vom scharfzüngigen Sarkasmus bis zu ihren aufrichtigen Gefühlen für ihre beiden Freunde. Und Daniel Radcliffe? Der ist vielleicht die Überraschung dieses Albums und weiter denn je von seiner »Harry Potter«-Vergangenheit entfernt. Er spielt nicht nur authentisch und glaubwürdig, sondern meistert auch Sondheims Kompositionen beachtlich gut, dafür, dass er von Haus aus kein Sänger ist. Mit ›Franklin Shepard, Inc.‹ liefert Radcliffe eine veritable Tour de Force ab, und bei ›Good thing going‹, einem der schönsten Songs der Partitur, macht er durch seine grundehrliche, anrührende Interpretation jedes eventuell zu findende stimmliche Defizit locker wett und sorgt durch seine bloße Verletzlichkeit für Gänsehaut. Hut ab!

Flankiert werden die drei Protagonist:innen durch ein agiles, hochmotiviertes Ensemble, aus dem u.a. Katie Rose Clarke als Beth und Krystal Joy Brown als Gussie hervorstechen. Joel Fram dirigiert das dreizehnköpfige Orchester in der Instrumentierung von Altmeister Jonathan Tunick – der authentische Sondheim-Sound ist also gewährleistet. Rechnet man noch das vorbildliche Booklet hinzu, muss man diese Cast-CD quasi als Muss für die Sammlung betrachten. Dank seiner melodienreichen, eingängigen Partitur ist „Merrily We Roll Along“ auch perfekt als Einstiegsdroge in den Sondheim-Kosmos geeignet.

Fazit: Ein berühmter Flop wird zum verdienten Hit – Sondheim at his best!

CD im Jewel Case

Gesamtlaufzeit: 79:03 min.

40-seitiges Booklet mit Credits, Liner Notes, Fotos und Songtexten

Songliste: